Berliner Nahverkehr: S-Bahn darf noch ein Jahr fahren
Das Eisenbahn-Bundesamt verlängert die Betriebsgenehmigung für die S-Bahn nur um ein Jahr. Wegen der Kälte fallen zusätzlich Züge aus. FDP fordert den Rücktritt von Verkehrssenatorin Junge-Reyer.
Erneute Klatsche für die S-Bahn: Nach einem halben Jahr Chaos verlängert das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) die Betriebsgenehmigung nur um ein Jahr. Möglich wären bis zu 15 Jahre gewesen. "Vor dem Hintergrund der 2009 aufgetretenen Sicherheitsprobleme ist es nicht möglich, die Betriebsgenehmigung längerfristig zu erteilen", erklärte EBA-Sprecher Ralph Fischer am Dienstag. So könne die Betriebserlaubnis innerhalb der nächsten zwölf Monate entzogen werden, sollte der gesetzlich vorgeschriebene sichere Betrieb nicht gewährleistet werden.
Hintergrund ist die Pannenserie bei der S-Bahn, die im Mai mit einem Radscheibenbruch begonnen hat (siehe Kasten). In der Folge ordnete das EBA, das den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland überwacht, mehrfach intensivere Kontrollen an. Teilweise brach deswegen der S-Bahn-Betrieb wochenlang zusammen.
Bei der S-Bahn scheint die Warnung des EBA angekommen. "Wir nehmen die Entscheidung als Zeichen ernst und wollen nun das Vertrauen in die S-Bahn wieder zurückgewinnen", erklärte ein Sprecher. Derzeit ist da aber nicht viel zu holen: Eigentlich sollten die S-Bahnen ab Mitte Dezember wieder normal verkehren - das war das Versprechen der S-Bahn im Spätsommer zu Hochzeiten des Chaos. Doch mit dem Wintereinbruch ist dieser Fahrplan vollends Makulatur. Schnee und Eis legen viele Wagen lahm, die Züge müssen wegen Störungen der Türen und der Elektronik in die Werkstätten.
Berlin, den 23.12.2009
Dringende Rückrufaktion der taz-Ausgabe vom 8. Juli 2009
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
liebe Fahrgäste der S-Bahn,
in unserer Berichterstattung über die Probleme bei der S-Bahn ist uns ein gravierender Fehler unterlaufen. In der taz-Ausgabe vom 8. Juli 2009 titelten wir: "Weihnachten wieder im Fahrplan" und meinten damit die S-Bahn Berlin, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG.
Wie sich jetzt in aller Deutlichkeit herausstellt, lagen wir damit komplett falsch. Denn mittlerweile stellt sich die Frage, ob die S-Bahn Berlin jemals wieder im Fahrplan verkehren wird.
Eine sofort angelaufene taz-interne Inspektion hat noch kein belastbares Ergebnis zu Tage gebracht, wie es zu diesem Fehler kommen konnte. Wahrscheinlich liegt ein technisches Versagen zu Grunde. Aber auch eine menschliche Fehleinschätzung kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
In aller Deutlichkeit weisen wir die Darstellung der damals verantwortlichen Redakteure zurück, wonach diese Schlagzeile "witzig gemeint" gewesen sei. Auch deren nachträglicher Hinweis, dass Konkurrenzmedien am damaligen Tage unter den Schlagzeilen "S-Bahn muss Fahrplan weiter ausdünnen"bzw. "Die Hälfte aller S-Bahn-Züge fällt aus" (Berliner Morgenpost) wesentlich "weniger weitblickend" berichtet hätten, kann diese Fehlleistung nicht erklären. (Berliner Zeitung)
Um weiteren Schaden zu verhindern, rufen wir dringend alle noch im Betrieb befindlichen Ausgaben der taz vom 8. Juli 2009 mit diesem Titel zurück.
Die Exemplare werden umgehend - spätestens jedoch bis Weihnachten 2017 - in unseren Werkstätten repariert und können anschließend in gewohnt zufriedenstellender Weise selbst in fahrenden Zügen der S-Bahn gelesen werden.
Wir bitten, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen,
die Berlin-Redaktion der taz
Technische Ausfälle im Winter sind nichts Neues, auch vor einem Jahr gab es 3.000 Zugausfälle und 5.000 Verspätungen. Doch damals habe man die Zugausfälle noch mit Ersatzfahrzügen kompensieren können, erklärte der Sprecher der S-Bahn. Durch die neuen Sicherheitsauflagen des EBA müssten die Züge derzeit alle sieben Tage in der Werkstatt kontrolliert werden: "Wir haben keinerlei Puffer an Ersatzzügen mehr."
In den vergangenen Tagen seien zwischen 720 und 760 Wagen in Berlin unterwegs gewesen, so der S-Bahn-Sprecher. Eigentlich sollten es wie schon im November 858 sein. Für den Normalbetrieb sind nach S-Bahn-Angaben 1.100 Wagen nötig.
Landespolitiker werteten die Entscheidung des EBA als deutliche Mahnung. SPD-Verkehrsexperte Christian Gaebler sprach von einer "Misstrauenserklärung gegenüber der Deutschen Bahn AG", zu der die S-Bahn gehört. Er forderte die Entlassung des DB-Vorstands für Personenverkehr Ulrich Homburg.
Die Opposition will hingegen, dass noch ganz andere Köpfe rollen: Die FDP verlangte am Dienstag den Rücktritt von Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Die Senatorin trage die politische Verantwortung für das S-Bahn-Chaos und habe "mehrfach und wiederholt versagt", erklärte FDP-Fraktionschef Christoph Meyer.
Für die Kunden bedeuten die aktuellen Ausfälle im S-Bahn-Verkehr vor allem eines: Sie müssen in der Kälte warten. Betroffen sind unter anderem (und ohne Gewähr) die folgenden Linien: Die S3 fährt nur zwischen Erkner und Ostbahnhof, die Ringbahn S41/42 nur im 10-Minuten-Takt, und die S9 verkehrt nur zwischen dem Flughafen Schönefeld und Treptower Park. Auf den Linie 2, 5 und 75 fahren die Züge nicht immer die komplette Linie.
Wie lange diese Einschränkungen dauern werden, sei unklar, erklärte der S-Bahn-Sprecher. Die Rückkehr zum Normalverkehr ist damit wieder in ferne Zukunft gerückt.
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