Berliner JazzFest ohne Jazz: Folge dem Geld
In der Krise ist das ehemals wichtigste deutsche Festival schon lange, am Wochenende ist es nun zusammen- gebrochen. Begeisternden Jazz gab es bei den Parallelveranstaltungen.
Der amerikanische Jazzjournalist Bill Shoemaker berichtet in seinem Internetmagazin pointofdeparture.org über improvisierte Musik. Zu einer guten Tradition des JazzFests Berlin gehört es, engagierte ausländische Journalisten einzuladen, diesmal war er an der Reihe. Während seines ersten Berlin-Besuchs nun sah Shoemaker aber nicht nur das JazzFest, er schaute auch beim gleichzeitig stattfindenden Total Music Meeting vorbei. Und wenn noch Zeit geblieben wäre, hätte er sich auch "Brötzmann total" anhören wollen, in diesem Jahr die neue Konkurrenzveranstaltung zum JazzFest.
Einen grundlegenden und positiven Unterschied zum amerikanischen Jazzkonzertbetrieb machte Shoemaker in Berlin gleich zu Beginn aus: Die kapitalistische Orientierung des Jazzbetriebs fehle hier. Kein Mainstream, kaum Sponsoren, scheinbar wenig äußerer Zwang. Wenn man hingegen in den USA den Kapitalfluss zurückverfolge, bekomme man verblüffende Antworten über die programmierten Inhalte. Wer spendet, bestimmt, sagt Shoemaker: "It depends who you know, it depends who you blow."
Trotz internationaler Konkurrenz und völlig veränderter Rahmenbedingungen gilt das JazzFest aus amerikanischer Sicht offenbar immer noch als das führende deutsche Jazzfestival, hier treffen sich historische Leistung und strukturelle Kontinuität. Was dem JazzFest jedoch geschadet habe, seien die ständigen Brüche auf der Verantwortungsebene, vermutet Shoemaker. Gerade ist der vierte Leitungswechsel innerhalb von sieben Jahren bekannt gegeben worden, unter solchen Umständen ist kaum Profil zu entwickeln. Was kommt, wenn der Posaunist Nils Landgren das JazzFest die kommenden drei Jahre leiten wird, bleibt also abzuwarten. Kenner der Szene äußern sich zurückhaltend bis skeptisch.
Das JazzFest 2007 band Bundeskulturgelder in Höhe von 210.000 Euro, das Gesamtbudget summierte sich auf 420.000, die Hälfte davon stand für Gagen zur Verfügung. Dass das Gros davon in diesem Jahr für ein sicher ehrenwertes Projekt draufging, das mit Jazz jedoch rein gar nichts mehr zu tun hatte, verdeutlichte einmal mehr die kontextferne Ausrichtung des Programms. Mit dem 37-köpfigen El Gusto Orchester, das am Eröffnungsabend im Haus der Festspiele auftrat, hatte der scheidende JazzFest-Leiter Peter Schulze ein "Etat-sprengendes" Konzert nach Berlin geholt, das dem ebenfalls in Berlin verorteten und hoch subventionierten Haus der Kulturen der Welt gut gestanden hätte.
El Gusto spielt Chaabi, eine besondere Ausprägung der algerischen Volksmusik, die vor der Unabhängigkeit und Islamisierung Algeriens von jüdischen und muslimischen Musikern gemeinsam gespielt wurde und besonders in der Altstadt Algiers zu hören war. In der dem Konzert vorangestellten Podiumsdiskussion wurde schnell klar, dass es hier vor allem um jüdisch-arabisches Dialogisieren vor dem Hintergrund französischer Geschichtsaufarbeitung geht, was wiederum besonders den das Eröffnungskonzert mitschneidenden Fernsehsender Arte gereizt haben mag. Der Integrations- und Migrationsbeauftragte des Berliner Senats, Günter Piening, erinnerte im Laufe der Diskussion zwar kurz daran, dass die afroamerikanische Musik einst zur Überwindung der Segregation beigetragen hat, doch das blieb dann auch der einzige Bezug zum Jazz an jenem Abend. Wenigstens wurde er erwähnt.
Fest steht, dass so das eurozentrierte und migrationsmusikalische Konzept des JazzFests komplett an die Wand gefahren wurde, die Tragfähigkeit des Gedankens war ja schon in den letzten Festivaljahrgängen zunehmend angezweifelt worden, und die damit einhergehende weitgehende Negation der schöpferischen amerikanischen und ganz besonders auffällig der afroamerikanischen Jazzmusiker wird noch eine Zeitlang einen üblen Nachgeschmack behalten.
Daran kann auch die aktuelle Arte-Dokumentation über länger zurückliegende JazzFest-Konzerte nichts mehr ändern. Nachdem dem RBB-Fernsehen vor zwei Jahren Mittel und Mut wegbrachen, das JazzFest Berlin wie in den Dekaden zuvor aufzuzeichnen, machte man sich bezüglich der Dokumentationslage des einst so wichtigen Festivals schon größte Sorgen. Nun kamen die RBB-Kameras wieder zum Jazz-Einsatz, zwar nur an zwei Tagen vorerst und auch nur weil Arte zahlt, doch immerhin. Eine längerfristige Zusammenarbeit zwischen JazzFest, Arte und RBB soll angepeilt sein - jetzt kommt es wohl darauf an, dass auch wer einschaltet.
Die beim JazzFest uraufgeführte Arte-Dokumentation "Best of JazzFest" enthält Konzertmitschnitte aus den Jahren 1981 bis 2004 - leider mutet die Auswahl und Präsentation noch etwas schnell und lieblos gestrickt an. Mit dabei immerhin die ganz frühen Lounge Lizards (1981), Lester Bowies Brass Fantasy (1986) und das Wayne Shorter-Herbie Hancock Duo (1997). Die meisten Takes wurden noch in der Berliner Philharmonie aufgezeichnet ("Best of JazzFest" wird am 8. 11. um 1.25 Uhr gezeigt, der Film über das JazzFest Berlin 2007 ist auf Arte am 8. 11. um 23.55 Uhr zu sehen).
Seitdem das JazzFest aus der Philharmonie ausgezogen ist, hat sich viel verändert. Man hatte sukzessive Publikum verloren und fand erst vor sechs Jahren im Haus der Festspiele mit halber Kapazität wieder zu einer stabilen Auslastung. Mittlerweile haben auch Jazzfestivals aus Dänemark und Frankreich in Berlin kleine Dependancen eröffnet, während das JazzFest so vor sich hin schwächelt. Die einstige Hausmacht in der Hauptstadt ist es schon lange nicht mehr, offenbar wird das JazzFest auch kaum mehr groß gefragt. Bewegungslos und traditionell zu Kooperationen unfähig droht das Mutterschiff zu sinken, wäre da nicht die kulturpolitische Einbindung durch die das Festival veranstaltenden Berliner Festspiele, deren Intendanz bisher keinen Weg aus der Krise signalisiert hat. Im Gegenteil.
Das Besondere wie Trügerische an der Berliner JazzFest-Situation ist zudem, dass heute fast alle Veranstaltungen ausverkauft sind, und zwar nicht nur die vom JazzFest, sondern auch die der Konkurrenz. Und das mit diesmal auffallend vielen eher kammermusikalisch orientierten Programmacts aus der zweiten Reihe, die in der festivalfreien Zeit nur wenige Zuhörer mobilisieren würden. Die wenigen großen Qualitätsnamen wie Peter Brötzmann und Evan Parker spielten zudem nicht beim JazzFest, sondern bei den Parallelveranstaltungen. Und zur Besonderheit der JazzFest-Situation mag neuerdings offenbar auch gehören, dass die Konkurrenten untereinander zum Teil gnadenlos zerstritten wirken.
Der Saxofonist Peter Brötzmann, der schon 1968 auf der ersten Gegenveranstaltung zu den Berliner Jazztagen gespielt hatte und unter dem Titel Brötzmann total nun in Berlin auch noch eine weitere Gegenveranstaltung zum einst von ihm mit initiierten Total Music Meeting leitete, tat sich im Vorfeld schon als radikaler Kritiker des diesjährigen JazzFests hervor. Er thematisierte Zusammenhänge zwischen den hohen Kulturexportsubventionen in skandinavischen Ländern und den zahlreichen dänischen und finnischen Musikern beim Festival: Die Programmentscheidungen auf dem JazzFest würden längst nicht mehr die Qualität der Szene reflektieren, wer am meisten Geld mitbringt, mache das Rennen, lautet Brötzmanns harter Vorwurf.
Doch was bei ihm im ersten Moment nach Verbitterung klang, entpuppte sich bei Brötzmann total dann als größte Underground-Jazz-Party, die diese Stadt seit Jahren erlebt hat. Zu seinen an zwei Abenden jeweils über vier Stunden lang schwer schuftenden Mitarbeitern zählten neben seinen Bands Sonore und Full Blast auch der junge in Berlin lebende Bassist Clayton Thomas. Was hier allein schon einem Abend an Klängen, Stimmung und Haltung präsentiert wurde, macht die JazzFest-Misere zwar nicht wett, verdeutlicht jedoch, was möglich ist und sein könnte. Ebenfalls kraftvoll und bezaubernd das Trio Evan Parker, John Edwards und Louis Moholo beim mit mageren 20.000 Euro subventionierten Total Music Meeting in der Berlinischen Galerie.
Der südafrikanische Schlagzeuger Moholo ist erst unlängst nach fast 40-jährigen Exil in seine Heimat zurückgekehrt und äußert sich sehr zurückhaltend über die gravierenden sozialen Probleme dort. Auf seinem T-Shirt steht "Woman marching against crime", er möchte mit seiner Musik den jungen Musikern zuhause etwas Hoffnung geben und Mut machen. Im nächsten Jahr würde er gern mit dem führenden südafrikanischen Saxofonisten Zim Ngqawana nach Berlin kommen.
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