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Berliner Haftungsassoziation bleibt auf Millionen sitzen

■ Bürgschaftsbank für Kleinbetriebe will Geschäfte auf Ost-Berlin und Brandenburg ausweiten / Bereitgestellte Landesmittel werden vom Senat blockiert

Aus Berlin Claudia Haas

„Wir sitzen auf unserem Geld, drehen Däumchen und können nichts damit anfangen.“ Derart schwere Geldsorgen plagen zur Zeit die Berliner Haftungsassoziation, eine genossenschaftliche Bürgschaftsbank für kleine kooperative Betriebe. Die Haftungsassoziation sitzt auf elf Millionen DM, die dafür vorgesehen sind, ExistenzgründerInnen und kleinen UnternehmerInnen in Ost-Berlin auf die Beine zu helfen. Seit 1987 verbürgt sich die Haftungsassoziation für Kredite von KleinunternehmerInnen, die einen erfolgversprechenden Betrieb auf- oder ausbauen wollen, die aber bei den Banken nicht als kreditwürdig gelten.

Die Haftungsassoziation will ihr Bürgschaftsprogramm, mit dem bisher 156 Kleinbetriebe in West-Berlin gefördert wurden, auf den Ostteil der Stadt und Brandenburg ausdehnen. Die Renaissance, die kleine Unternehmen in der BRD erlebten, soll sich in der DDR fortsetzen. Beim nötigen Startkapital könnte die Assoziation helfen - doch sie darf nicht. Der Senat, der das Eigenkapital der Haftungsassoziation im letzten Jahr mit zehn Millionen DM aus Landesmitteln aufstockte, gibt das Geld für Bürgschaften in Ost-Berlin nicht frei. Der Grund: ein Protestschreiben von der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Handwerkskammer, das kürzlich beim Finanzsenator eintraf. Die beiden Kammern haben sich an ihre bisher kaum beanspruchten Kreditgarantiegemeinschaften erinnert und wollen nun ihr eigenes Bürgschaftsgeschäft wiederbeleben. Sie sehen eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Haftungsassoziation und fordern ebenfalls zehn Millionen DM. Die werden sie nicht bekommen, doch genausowenig bekommt die Haftungsassoziation grünes Licht für ihre Bürgschaftsvergaben in der DDR, bevor der Machtkampf beendet ist. Um die Anschubfinanzierung von Kleinbetrieben in Ost -Berlin nicht zu verzögern, legte die Assoziation ein Kooperationsangebot vor, das bisher von den Kammern abgelehnt wird. Kooperation hieße, sich dem erfolgreichen Konzept der „Linken“ in der Bürgschaftsszene anschließen zu müssen. Die Abneigung der Haftungsassoziation gegenüber den Großbanken ist unverkennbar, ebenso ihre Vorliebe für ökologische Projekte und die besondere Förderung von Geschäftsfrauen.

Die zukünftigen ExistenzgründerInnen in Ost-Berlin warten weiter auf ihr Startkapital, und die bestehenden Kleinunternehmen fragen sich, wie sie die ersten Monate auf dem offenen Markt ohne Kredite überleben sollen. Zwar hat die DDR-Regierung ein Sonderbürgschaftsprogramm geplant, bei dem die Staatsbank für Kredite einsteht. Doch drei Monate Kreditlaufzeit sind zu kurz, um den Kleinbetrieben über die ersten Finanzierungshürden zu helfen. Eine Kreditaufnahme im Rahmen der ERP-Mittel der Bundesregierung erfordert die bankenüblichen Sicherheiten und stellt somit keine Alternative dar.

Die einzige Sicherheit der kleinen und mittelständischen Betriebe ist ihre zukünftige Ertragsfähigkeit. Zwei Drittel der Anträge befürwortet die Haftungsassoziation und bürgt bei einer maximalen Kredithöhe von 250.000 DM für 80 Prozent der Summe. Sobald der erste Gewinn erwirtschaftet ist, muß zurückgezahlt werden - auch wenn viele UnternehmerInnen das Geld lieber für Neuinvestitionen verwenden möchten. Die genaue Prüfung der Kreditvorhaben und die strenge Überwachung der Tilgung haben in West-Berlin bisher Verluste und Konkurse vermieden, dagegen liegt die Ausfallquote der traditionellen Bürgschaftsbanken im Bundesgebiet bei zwölf Prozent.

In ihrem Beratungs- und Qualifizierungsprogramm bietet die Haftungsassoziation spezielle Kurse für DDR-BürgerInnen an. Neben den betriebswirtschaftlichen Grundkursen können ab Ende Juli auch Fachseminare zu Buchhaltung, Steuern oder oder Betriebsversicherung besucht werden. Der Bedarf ist enorm, 300 ExistenzgründerInnen und KleinunternehmerInnen aus Ost-Berlin und Umgebung haben bereits teilgenommen. In der Einzelberatung werden die Erfolgsaussichten durchgerechnet und ein individueller Finanzierungsplan erarbeitet. So sah eine Antragstellerin ein, daß ihr Laden für chinesisches Porzellan nicht überleben wird, während ein Gründer für sein Konzept zur Sanierung von Thermopenscheiben gute Absatzchancen erwarten darf. Keine Chance auf eine Bürgschaft hat für Marlene Kück, Vorstandsmitglied der Haftungsassoziation, das Body-Building-Studio in Ost-Berlin. Die Konkurrenz wächst zu schnell, und Investitionen in den Muskelaufbau der DDR-BürgerInnen sind für die Volkswirtin ein nachrangiges Ziel der Wirtschaftsförderung. Lieber würden die zehn MitarbeiterInnen der Haftungsassoziation dem ersten LPG-Bauern in der Mark Brandenburg zum Aufbau eines Biobauernhofes verhelfen.

Neben dem Ökologieprogramm gibt es für West-Berlin ein Sonderbürgschaftsprogramm zur Stärkung der weiblichen Ökonomie. Während im letzten Jahr nur für neun Kredite von West-Berliner Geschäftsfrauen gebürgt wurde, ist das Interesse der DDR-Frauen am eigenen Unternehmen weitaus größer. Die Seminare der Assoziation werden zu etwa 70 Prozent von Existenzgründerinnen besucht. Die Gemeinsamkeit der Frauen in Ost- und West-Berlin liegt in ihrer ausgeprägten Sicherheitsorientierung. Ein Lernschritt in den Kursen ist das Leben mit kalkulierbaren Risiken. Auch die Haftungsassoziation wird risikofreudiger. „Da es für die Entwicklung der Kleinbetriebe in der DDR keine eindeutigen Marktanalysen gibt, werden wir alles zulassen, was irgendwie machbar ist.“ Die Partner in Ost-Berlin warten bereits. Der Verband der Genossenschaftskassen hat seine Mitarbeit zugesagt, und auch der Unternehmerverband und der Bund der Selbständigen wollen sich beteiligen. IHK-Ost und Handwerkskammer Ost müssen vorerst noch ablehnen.

Die Verzögerungstaktik der Kammern und das Verzögern des Senats werden sich spätestens am Jahresende überholt haben, wenn auch für die Bürgschaften der Haftungsassoziation die Grenzen gefallen sind. Doch bis dahin hat sich wahrscheinlich der ein oder andere Plan zur Existenzgründung bereits erledigt.

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