Berliner Grundschule richtet Deutsch-Klassen ein: Erste Klasse nur für Deutsche
In einer Grundschule in Berlin-Wedding soll es ab Sommer 2010 eine Deutsch-Klasse geben. Die Hälfte der Kinder muss deutsche Eltern haben, die andere einen Sprachtest bestehen.
Die Bernauer Straße trennt Welten: Nördlich von ihr liegt Wedding, südlich Altmitte. In dem einen Ortsteil sind laut Sozialstatistik rund 30 Prozent der Bevölkerung Ausländer und von denen leben 20 Prozent von Hartz IV. In Altmitte sind knapp 20 Prozent der Einwohner Ausländer, nur etwa 5 Prozent von ihnen empfangen Hartz IV.
An der Gustav-Falke-Grundschule im Wedding haben 88 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund. "Es war ein schleichender Prozess, wir haben das gar nicht gemerkt", sagt Regina Hoppe, die seit 31 Jahren Lehrerin an der Grundschule ist. Erst als der Einzugsbereich für die Schule erweitert wurde und die Eltern in Altmitte sich dagegen wehrten, ihre Kinder auf die Gustav-Falke-Schule zu schicken, seien sie hellhörig geworden. Vor einem halben Jahr sei die Schulleitung losgezogen, um herauszufinden, welche Vorbehalte die Eltern südlich der Bernauer Straße gegenüber ihrer Schule hatten. In Umfragen und in Elterntreffen kam heraus, "dass die Eltern sich eine Schule wünschten, an der mehr Kinder gut Deutsch sprechen", sagt Karin Müller, die Leiterin der Schule. Daraufhin sei die Idee der Deutsch-Klasse entstanden.
Eine der Mütter in Altmitte, die sich gegen die Einschulung ihres Sohnes an der Gustav-Falke-Schule gewehrt hatte, schildert den Ablauf ein wenig anders: "Die Schule war zunächst ziemlich skeptisch", sagt sie. Die Eltern hätten sich mit Vertretern des Senats getroffen und deutlich gemacht, dass sie ihre Kinder nur unter bestimmten Voraussetzungen dort anmelden würden: hohes Niveau bei Deutschkenntnissen, kleine Klassen und Englischunterricht ab der ersten Klasse. "Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt worden wären, hätten wir uns umgemeldet oder an einer anderen Schule eingeklagt", sagt die Mutter zweier Kinder, die namentlich nicht genannt sein will.
Die Bedingungen wurden erfüllt: Ab dem Schuljahr 2010/11 soll es eine erste Klasse geben, in der die Hälfte der maximal 24 Schüler Deutsch als Muttersprache haben soll. Alle anderen müssen den Sprachtest "Bärenstark" bestehen. "Es war aber auch der Wunsch der Eltern mit Migrationshintergrund, dass mehr deutsche Kinder in unsere Schule kommen", sagt Müller.
Nicht alle sind der Meinung, dass die Deutsch-Klasse eine gelungene Reaktion auf die Homogenisierung der Schule ist: "Kinder sollten nicht selektiert werden", sagt Turgut Hüner, Projektleiter beim Türkischen Elternverein Berlin. "Wir können an anderen Schulen sehen, dass heterogene Klassen sehr gut funktionieren, auch mit einem Anteil von über 70 Prozent Migrantenkindern", sagt er. Dafür müssten die Lehrkräfte gezielt ausgebildet sein, "dann können die Kinder gegenseitig voneinander lernen".
Die Bedenken, dass sich die Deutsch-Klasse von den anderen Schülern abgrenzen könnte, hat Müller nicht: "Die Klasse wird an Projekttagen oder auch mal im normalen Unterricht mit den anderen Klassen gemischt", sagt sie. Wie oft im Unterricht gemischt werde, entscheide die Teamleitung aus Lehrern und Erziehern des jeweiligen Jahrgangs.
Die Deutsch-Klasse bekommt außerdem eine zusätzliche Stunde in Naturwissenschaften - ebenfalls ein Wunsch der Eltern. Die anderen Klassen würden dafür extra Deutschförderung bekommen: "Die braucht die Deutsch-Klasse ja nicht", sagt Hoppe. Die naturwissenschaftliche Förderung der Deutsch-Klasse solle in AGs am Nachmittag auch anderen Schülern offenstehen. Auch Jens Stiller, Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, ist überzeugt von dem Konzept: "Klassen mit vielen sprachlich starken Schülern sind eher in der Lage, schwächere Schüler zu fördern." Gleichzeitig warnt er davor, Förderungen exklusiv für bestimmte Schüler zu schaffen, denn: "Zusätzliche pädagogische Angebote müssen für alle Schüler offen sein und nicht auf Kosten anderer gehen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu