Berliner Fußball I: Maximal kleine Gefühle

Hertha BSC gewinnt 2:1 beim VfL Wolfsburg – warum, weiß allerdings hinterher keiner so genau. Immerhin bleibt man Union auf den Fersen.

Spielszene Wolfsburg gegen Hertha

Wolfsburgs Kevin Mbabu (r.) und Herthas Maximilian Mittelstädt kämpfen um den Ball Foto: dpa

WOLFSBURG taz | Ein Grundprinzip des Fußballs besteht darin, dass Siege immer verdient sind. Maximal nennt man sie „nicht unverdient“, was übersetzt heißt, dass man zwar nicht genau weiß, wie es dazu kam, es aber irgendwie schon seine Richtigkeit haben muss. Im Zweifel ist der Sieg der Beweis dafür, dass der Spirit im Team stimmt. Sonst hätte man ja nicht gewonnen. So in etwa verhält es sich mit dem 2:1 von Hertha BSC beim VfL Wolfsburg am Samstag. Torunarigha (74.) und Lukebakio (90.) drehten mit Kopfbällen out of the blue die Wolfsburger Führung durch Mehmedi (68.) zu ihren Gunsten um. „Die Jungs“ hätten sich „nicht aus der Ruhe bringen lassen“, sagte Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann.

Auch das ist eine These, die durch das Ergebnis eindeutig belegt wird. Der Sieg sei „der Lohn für die Arbeit der letzten Wochen“. Passt auch immer. Möglicherweise ist die Kategorie „verdient“ einfach nicht immer anzuwenden, weil der Zufall auch oder gerade auf Bundesliganiveau eine verbrämte, aber nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

Was die Saison des derzeitigen Bundesliga-Dreizehnten Hertha BSC angeht, so ist die Frage ja erst mal, was der Gradmesser der Bewertung ist. Orientiert man sich, was derzeit eine realistische Betrachtung wäre, an anderen abstiegsbedrohten Teams wie Paderborn, Düsseldorf oder dem bemerkenswerten Köpenicker Kleinstadtclub Union Berlin, so läuft es den Umständen entsprechend ordentlich. Der einstige Bundestrainer und Nationalmannschaftskapitän ist jetzt zwei Monate im Amt, und seine Bilanz ist nach dem Wolfsburg-Erfolg mit drei Siegen, zwei Remis und zwei Niederlagen aller Ehren wert. Das bedeutet fünf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Null verheißungsvoll

Auf den Platz bringt Klinsmann „Neo-Dardaismus“ (Süddeutsche Zeitung), das meint die Rückkehr zum spektakelfreien, unkreativen, aber giftigen Arbeiterfußball, mit dem Vorvorgänger Pal Dárdai die Hertha viele Jahre aus den Schlagzeilen heraushielt. Das ist sowohl positiv als eben auch negativ gemeint. Mit der Verheißungsmelodie vom großen Fußball, vom „Big City Club“, von der Champions League, die Hertha-Investor Lars Windhorst mit Klinsmanns Verpflichtung auslösen will, hat das im Moment null zu tun. Insofern ist es auch durchaus rücksichtsvoll, die Anhänger vor­übergehend vom Zusehen des Trainings auszuschließen, wo dieser Fußball einstudiert wird.

Selbstverständlich geht es immer ums Punkten beim Fußball, das ist ja klar. Aber es geht eben auch um das Erlebnis, um die großen Gefühle. Hertha liefert maximal die kleinen Gefühle und der VfL Wolfsburg derzeit auch – entsprechend war dieses Spiel.

Die Wölfe ordentlich beim Umschalten nach Ballverlust bemüht, das Spiel zu machen, aber mehr als behäbig nach Ballgewinnen und ohne den Punch, den Sack zuzumachen, als es nach der Führung möglich war. Wobei Hertha 70 Minuten mit zwei superdefensiven Sechsern (Skelbred, Ascacibar) auch so tief stand, dass sie hinten immer in Überzahl waren. In den letzten zwanzig Minuten riskierten beide Teams etwas Fußball, was ein bisserl Action brachte, zwei richtige Hertha-Kombinationen und das erstaunliche Endergebnis. Welches auch Klinsmanns Idee bestätigte, es doch mal statt Selke mit dem wirklich torgefährlichen Lukebakio als Spitze zu probieren.

Aber Trainer Jürgen Klinsmann hat ja gerade erst angefangen, er hat ein paar Kumpels installiert, aber sonst nur kleine Änderungen vorgenommen. Also abwarten. In der Hertha-Kurve hing in Wolfsburg ein Transparent mit einem romantischen Begehren: „Wir wollen Fußball mit Herz und Seele, ohne Konzerne und Milliardäre.“ Unklar ist, ob sich das gegen Volkswagen richtete oder gegen den eigenen Hauptanteilseigner. Klar ist, dass man diesen Fußball jederzeit sehen kann – aber eben nicht in der Champions League.

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