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Berliner BehindertenparlamentInklusion in kleinen Schritten

Der Senat nimmt die Institution mittlerweile ernst. Doch die Politik tut sich immer noch schwer damit, Forderungen auch umzusetzen.

Schon im vergangenen Jahr wurde im Behinderteparlament heftig diskutiert Foto: Fabian Sommer | dpa

Berlin taz | Wenn Menschen mit Behinderungen ständig von der Politik vergessen werden, warum sollten sie nicht einfach selber Politik machen? So in etwa lässt sich die Grundidee des Berliner Behindertenparlaments zusammenfassen, das am Samstag zum 3. Mal im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses tagte. Rund 100 Ber­li­ne­r:in­nen mit Beinträchtigungen und chronischen Krankheiten verabschiedeten Anträge, die konkrete Forderungen an den Senat für mehr Inklusion und Barrierefreiheit enthalten.

„15 Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention klafft noch immer ein große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Berlin“, gibt der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhof zu, der eines der Grußworte zur Eröffnung spricht. Düsterhof, der in seiner Funktion als Mitglied des Abgeordnetenhaus-Präsidiums hier ist, ist nicht die einzige anwesende Parteiprominenz. Mit Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), Finanzsenator Stefan Ewers (CDU), Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD), Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe und Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) ist der halbe Senat vertreten, um Rede und Antwort zu stehen.

„Man nimmt uns mittlerweile sehr viel ernster“, sagt Dominik Peter, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und Sitzungsleiter, der taz. Das zeige die beeindruckende Gästeliste.

Da die Zeit begrenzt ist und das Parlament nur einmal im Jahr tagt, geht es auch gleich zur Sache. „Bei meiner Frage geht es – wieder einmal – um Inklusions­taxis oder warum uns keine zur Verfügung stehen“, eröffnet Thorsten Gutt, Vorstand der Landesvereinigung Selbsthilfe. „Aus meiner Praxis kann ich sagen, ich habe noch nicht ein einziges Mal ein solches Taxi bekommen.“ Gutt schlägt vor, in Berlin nur noch rollstuhlgerechte Taxis zuzulassen, eine Regelung, die es bereits in London gibt.

Inklusive Taxis nur am Flughafen

Die Antwort der Wirtschaftsenatorin ist ausführlich und detailliert, die Fragen wurden den Senatsverwaltungen vorab übermittelt. Franziska Giffey stellt verschiedene Förderprogramme vor, mit denen man die Zahl der derzeit 140 registrierten inklusiven Taxis in Berlin erhöhen will, mittelfristig peile man 250 Fahrzeuge an.

Schnell wird in der Antwort klar, warum es so schwierig ist, ein rollstuhlgerechtes Taxi zu buchen. Über zwei Drittel der barrierearmen Fahrzeuge haben eine geförderte Lizenz für den BER. „Die Flughafentaxis stehen nur am Flughafen herum, weil das lukrativer ist“, kritisiert Gutt.

Eine richtige Lösung präsentiert die Senatorin heute noch nicht. Gutts Vorschlag für die Inklusionspflicht lehnt Giffey ab. „Das halte ich für ein bisschen schwierig, für die Taxifahrer geht das ja nicht von heute auf morgen“, sagt sie. Stattdessen hat die Verwaltung vorsorglich schon mal eine Liste mit den Kontaktdaten aller Unternehmen, die Inklusions­taxis anbieten, auf der Website des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten zusammengetragen.

Verständnis, Beschwichtigung und letztendlich Ablehnung, mit dem Verweis, dass Dinge nun mal nicht so schnell gingen oder nicht genug Geld vorhanden sei – diese Reaktion der Po­li­ti­ke­r:in­nen wird sich heute noch einige Male wiederholen.

Erfolge sind klein, aber stetig

„Sie glauben gar nicht, wie oft man beim Denkmalschutz an die Grenzen stößt, aber auch beim lieben Geld“, erklärt Finanzsenator Stefan Ewers, warum viele Berliner Immobilien noch nicht barrierefrei sind.

Dieses Schicksal wird vermutlich auch die Mehrheit der sieben Anträge ereilen, die das Parlement am Samstag beschlossen und an die Senatsverwaltungen übergeben hat, das zeigt zumindest die Erfahrung der letzten Jahre. Oft stünde in den Antworten auf die Anträge, dass die Senatsverwaltung das Problem nicht verstehe oder dass eine andere Stelle dafür verantwortlich sähe, berichtet Dominik Peter. Dass es überhaupt Antworten gibt, sieht Peter aber schon als Erfolg: „Im ersten Jahr wurden die Anträge einfach ignoriert und beiseitegelegt.“

Aber der Kampf für Inklusion und Barrierefreiheit ist ein ­Marathon, dass weiß auch Behindertenparlaments-Mitglied Jörg von de Fenn. In der Fokusgruppe Freizeit- und Sport hat von de Fenn Vorschläge ent­wickelt, wie sich mehr Inklusion und Barrierefreiheit im Sport entwickeln ließe „Der Antrag, den wir heute einreichen, ist im Prinzip der vom letzten Jahr, da er nicht umgesetzt wurde“, sagt von de Fenn der taz.

Der Spitzensportler ist seit 33 Jahren blind. Schwierigkeiten beim Ausüben vom Sport bereitet ihm weniger das Fehlen des Augenlicht als die mangelnde Inklusion im Sportbereich. Viele Vereine und Trainingsstätten würden ihm das Training von vornherein nicht erlauben. So wurde er von einer Bahn für Inlineskates abgelehnt, obwohl er sieben Mal den deutschen Meistertitel geholt hat. „Es wird oft nicht mal versucht“, kritisiert von de Fenn.

(Un)sichere Zukunft

Doch dass das Parlament heute zum vierten Jahr in Folge tagt, ist an sich schon eine Erfolgsgeschichte. Initiator ist Behindertenrechtsaktivist und taz-Kolumnist Christian Specht. Specht hat hartnäckig für die Etablierung des Gremiums in Berlin gekämpft. Ihn hatte 2018 ein Besuch im Bremer Behindertenparlament inspiriert.

Unter Mitwirkung eines Teams ehrenamtlicher Engagierter konnte das Behindertenparlament 2021 das erste Mal tagen. Allerdings nur im Freien, da die Pandemie dem Team einen Strich durch die Rechnung machte. 2022 zog es dann in den Plenarsaal des Abgeordnetenhauses.

Angesichts der umfassenden Kürzungen im Sozialbereich geht auch bei der heutigen Sitzung die Sorge um, dass es vielleicht das letzte Mal gewesen sein könnte. „Ich glaube, dass es auch in Zukunft Spielräume gibt, um dieses Format zu sichern“, beschwichtigt Finanzsenator Ewers.

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