Berliner Autos brennen länger

Die Brandanschläge auf Fahrzeuge haben sich im Vergleich zum Vorjahr bereits verdoppelt. Täter gehen meist wahllos vor und beschädigen auch Kleinwagen. Die Polizei ordnet die Aktionen der linken Szene zu, doch Spuren zu den Tätern gibt es kaum

In Berlin hält die Anschlagserie auf Autos an. In der Nacht zu Mittwoch gingen fünf Wagen in Flammen auf, wie die Polizei mitteilte. Gegen 2.00 Uhr zündeten unbekannte Täter in der Karl-Marx-Allee ein Mietfahrzeug der Marke Chrysler und einen BMW an. Die Fahrzeuge wurden erheblich beschädigt. Eine Stunde später brannte ein Mercedes in der Rheinsberger Straße. Kurz darauf stand ein Jeep in der Granseer Straße in Flammen. Um 3.20 Uhr wurde ein weiterer Jeep in der Gormannstraße durch Feuer stark beschädigt. Der Staatsschutz ermittelt. Seit Beginn des Jahres wurden in Berlin auf mehr als 80 Autos Brandanschläge verübt. Die Untergrundorganisation Militante Gruppe hat sich bisher zu wenigen Anschlägen bekannt, doch kritisiert sie inzwischen die Aktionen.

Von PLUTONIA PLARRE

Nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hatte es so ausgesehen, als würde sich die Lage in Berlin beruhigen. Und nun das: fünf brennende Autos auf einen Streich. Wie die Polizei gestern mitteilte, wurden die Fahrzeuge alle in der Nacht zu Mittwoch in Friedrichshain und Mitte angezündet. Im Gegensatz zu früheren Aktionen handelt es sich diesmal durchgängig um hochwertige Fahrzeuge.

Die Anschlagserie begann gegen 2 Uhr in der Karl-Marx-Allee, führte in die Rheinsberger Straße und Granseer Straße und endete um 3.20 Uhr in der Gormannstraße. „Das ist schon relativ heftig“, sagt Lars Sünnemann, Dezernatsleiter beim polizeilichen Staatsschutz im Landeskriminalamt. Von einer neuen Eskalation möchte er aber nicht reden, spricht lieber von einer „punktuellen Zunahme der Taten“. Auch was die Frage nach den Tätern und den Motiven angeht, zeigt sich Sünnemann zurückhaltend: „Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre spekulativ.“

Mit den neuen Fällen ist die Zahl der Brandanschläge in diesem Jahr auf 85 beschädigte Fahrzeuge angestiegen. Das sind weit mehr als doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2006. Intern geht die Polizei davon aus, dass die Häufung der Delikte im weitesten Sinne auf das Konto der linksmilitanten Szene geht, auch wenn nur verschwindend wenige Bekennerschreiben eingegangen sind. Hochphase der Anschläge war im Mai und Juni rund um den G-8 Gipfel in Heiligendamm. In dieser Zeit gab es kaum eine Nacht, in der in Berlin nicht mindestens ein Fahrzeug in Flammen stand.

Bevorzugte Anschlagsobjekte waren Wagen der Marke DaimlerChrysler, BMW und Audi, aber längst nicht nur. Im Vergleich zu früheren Jahren habe bei der Auswahl der Fahrzeuge ein deutlicher Paradigmenwechsel stattgefunden, sagt Sünnemann, beim Staatsschutz seit sechs Jahren mit der Materie befasst. Früher seien fast ausschließlich hochwertige sogenannte Nobelkarossen ausgesucht worden. Heutzutage gingen die Täter nahezu wahllos vor. Fahrzeuge, die 10, 14 Jahre alt seien, seien betroffen. „Autos von kleinen Leuten aus dem Kiez, die auf den Kosten sitzen bleiben, weil sie keine Vollkasko-Versicherung haben“, beschreibt Sünnemann die Lage. „Das ist ein erschreckend neues Phänomen.“ Offenbar gingen die Täter nach der Devise vor: Wir zünden in der Straße das Auto an, das am besten erhalten ist. Wird schon teuer sein.

Allerdings hat es auch einige Fälle gegeben, in denen Behördenfahrzeuge von Polizei und Post und sowie die Wagen großer Wirtschaftsunternehmen betroffen waren. In einem der wenigen Bekennerschreiben, die eingegangen sind, hat sich die „militante Gruppe“ (MG) zu dem Anschlag auf Einsatzfahrzeuge der Polizei am 18. Mai in Spandau bekannt (s. Text unten). Gegen die MG läuft in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a.

Nach Anschlägen auch in anderen Städten ist inzwischen überall weitestgehend Ruhe eingekehrt. Nur in Berlin nicht. 12 Verdächtige zu vier Tatkomplexen hat die Polizei bislang ermittelt, bezogen auf die Masse der Anschläge ein Tropfen auf dem heißen Stein. Bleibt die Frage nach den Motiven. Denkbar wäre, dass sich die hiesige militante Szene einen „Volxsport-Wettbewerb“ im Pkw-Anzünden liefert. Ermittler Sünnemann hält die Existenz eines Wettkampfes allerdings für einen Mythos. Was immer die Gründe sein mögen: In einer Einschätzung sind sich der Beamte vom Staatsschutz und die „Militante Gruppe“ bemerkenswerterweise einig: Die Autos kleiner Leute abzufackeln hat nichts mit Politik zu tun.