Berliner Arbeitsamt hilft Künstlern: Vermittlung in Sachen Kunst

Vom Zauberer über Salsa-Bands bis zum singenden Weihnachtsmann: Die Arbeitsagentur hat eine Künstlervermittlung für Unterhaltungsschaffende. Doch die Konkurrenz in Berlin ist groß.

An der weißen Decke klebt eine Kreuz-Dame. "Die hat ein Close-up-Zauberer zurückgelassen, als er uns einen Kartentrick vorführte", erzählt Jennifer Moos. Die Decke gehört zu einem Büro der Bundesagentur für Arbeit in der Friedrichstraße, Moos ist eine der Beschäftigten. Das Zimmer sieht anders aus, als man sich einen Büroplatz der Arbeitsagentur gemeinhin vorstellt. Es wirkt eher wie ein Redaktionsraum der Bravo: An der Wand pappen unzählige Fotos von Bands und Musikern. Allerdings keine Teeniestars: Die Musiker auf den Bildern sind Kunden der Arbeitsagentur, registriert bei der ZAV-Künstlervermittlung, der Künstler-Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit.

Berlin, der wichtigste Tummelplatz für freie Künstler in Deutschland, ist der größte aller sieben Standorte der Künstlervermittlung. Die vor 60 Jahren unter dem Dach des Arbeitsamts gegründete ZAV-Künstlervermittlung wirbt für sich als "Top-Adresse im Vermittlungsbereich" mit einem einmalig großen Pool an Künstlern unter anderem aus Film & TV, Theater, Komparserie, Mode und Musik.

Die Zahl der Arbeitslosen in Berlin war im Oktober so niedrig wie noch nie in diesem Jahr. Es waren insgesamt 228.727 Menschen arbeitslos, 7.942 weniger als im Vormonat, aber 9.377 mehr als vor einem Jahr, wie die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag mitteilte. Unterdessen warnte Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) den Bund vor einer Reduzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Zugleich verteidigte sie das von ihrer Partei maßgeblich vorangetriebene Projekt des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS).

Die Arbeitslosenquote lag im Oktober mit 13,6 Prozent um 0,4 Prozentpunkte unter der des Vormonats und um 0,6 Prozentpunkte über dem Vorjahreswert. Öffentlich gefördert wurden über 39.000 Arbeitsplätze, etwa 17 Prozent weniger als vor einem Jahr.

Bluhm warnte die neue Bundesregierung davor, "das Bemühen um gute Arbeit und anständige Bezahlung mit ihren Plänen zunichtezumachen". Die geplante Abschaffung der Mindestlöhne und die Ausweitung der Minijobs werde dazu führen, "dass millionenfach Niedrigstlöhne durch staatliche Transfers aufgestockt werden müssen". Zudem werde auch in Zukunft eine breite Palette an arbeitsmarktpolitischen Instrumenten gebraucht, sagte Bluhm.

Andrea Nordbrink arbeitet seit vier Jahren als Arbeitsvermittlerin für Musiker und DJs. Sie kann auf mehr als 1.300 Bands in ihrer Kartei zurückgreifen - von der Metalband bis zur Bayern-Kapelle. "Die meisten sind Vollprofikünstler, denen wir Arbeit verschaffen wollen, damit sie nicht die Leistungen der Arbeitsagentur in Anspruch nehmen müssen." Der Andrang der Unterhaltungsschaffenden im Bereich Musik etwa sei groß.

Im Büro in der Friedrichstraße versuchen 20 Mitarbeiter, das Nützliche für die Künstler mit dem Angenehmen für die Agentur - weniger Hartz-IV-Kunden - zu verbinden. Auch sie sind Vollprofis, die sich mit dem spezifischen Aufgabengebiet bestens auskennen. "Viele Vermittler waren vorher in der künstlerischen Branche tätig oder haben im Veranstaltungsmanagement gearbeitet", sagt Michael Dunst, einer von zwei Teamleitern und früher Chef des alten Frannz-Klubs in Prenzlauer Berg. Andrea Nordbrink ist zwar gelernte Journalistin, aber privat auch Chorsängerin.

Die Betreuung der ZAV-Klientel verläuft denn auch nicht so sehr nach jenen bürokratischen Mechanismen, über die sich andere Kunden der Arbeitsagentur gern beschweren. Das Haus der Künstlervermittler hat zwar feste Sprechstundenzeiten, aber auf die wird nicht starr gepocht. "Wir passen uns ein wenig dem anderen Tagesrhythmus der Künstler an", sagt Nordbrink. "Außerdem besuchen wir sie häufig an ihren Arbeitsplätzen, um uns ein Bild von ihrem Können zu machen." Manchmal reicht auch eine CD, die ihr die Musiker zuschicken, wenn sie nicht selbst vorbeischauen. "Nur professionelle Künstler, von deren Qualität wir uns überzeugt haben, werden in die Künstlerkartei aufgenommen." Gelegentlich kommen Musiker auch ins Haus zum Vorspielen und Vorsingen. In der sechsten Etage gibt es ein kleines Studio samt Konzertflügel. Ablehnungen von Künstlern seien keine Seltenheit, sagt Nordbrink. Singende Hausfrauen, Hobbymusiker oder Bands, die nur Eigenkompositionen zur Selbstverwirklichung spielen, schaffen es nicht in die Kartei.

Die potenziellen Arbeitgeber sind vielfältig: Bei den staatlichen Künstlervermittlern klingelt sowohl der Kleingärtner an, der ein Duo für sein Sommerfest sucht, als auch das Großunternehmen, das eine Big Band für die Firmenfeier möchte, oder der ADAC, wenn er Musiker für seinen Jahresball braucht. Während zuletzt einige repräsentative Großevents der Sparwelle zum Opfer fielen, holen ausgerechnet Kfz-Verkäufer massenhaft die Musikanten ins Autohaus. Mit Klängen von Bach bis AC/DC sollen Käufer gelockt werden.

Und die Ansprüche der Arbeitgeber sind eindeutig. "Die Firmen sagen ganz klar, was sie wollen. Sie buchen lieber Musiker, die bekanntes Repertoire spielen statt eigener Songs", weiß Nordbrink. Andererseits haben auch Leute eine Chance, die mit einer gewissen Exotik aufwarten können. So wie die Mongolin Urna, die vor kurzem anrief und bat, eine CD mit ihren Liedern schicken zu dürfen. "Für Firmenveranstaltungen ist sie sicher interessant. Wenn sie noch gute Fotos, einen Infotext und Referenzen hat, umso besser. Eine professionelle Präsentation ist ganz wichtig."

300 Bands stellen sich, teilweise mit Soundbeispielen, auf der Homepage der Berliner ZAV-Musiksparte vor. Was keineswegs bedeutet, dass sie allein von den Vermittlungen der Bundesagentur leben können. Die Hoffnung, dass sich ein Engagement möglichst sogar in eine Festanstellung für die Künstler verwandelt, erfüllt sich sowieso immer seltener. Erst recht jetzt in der Krise.

In der wollen viele Auftraggeber möglichst wenig bezahlen. "Wir vermitteln natürlich nie zu Dumpinglöhnen, 1-Euro-Musiker gibts bei uns nicht", betont Andrea Nordbrink. Für einen professionellen Musiker im Rock-Pop-Bereich sind pro Stunde 50 Euro plus Mehrwertsteuer zu berappen, bei Galabands wirds teurer. "Man muss bedenken, dass die nicht jeden Tag einen Job bekommen. Trotzdem wollen manche Kunden gerade jetzt feilschen." Denen erklärt die blonde Frau dann, dass Musiker im Gegensatz zu einem ähnlich teuren Klempner lange studiert hätten, täglich proben müssten und noch Transportkosten abgingen. "Wir haben ja auch eine Verantwortung für den Markt. Trotzdem ist das Gagenniveau in Berlin niedriger als in Westdeutschland, weil es hier besonders starke Konkurrenz herrscht."

Die Chancen auf ein Engagement sind für die konkurrierenden Musiker zudem sehr jahreszeitenabhängig. Musik ist Saisonware. Für Sommerfeste sind insbesondere Latin- und Salsamusiker gefragt, gern mit einer exotischen Tänzerin. In der Weihnachtszeit stehen das klassische Bläsertrio und der singende Weihnachtsmann hoch im Kurs, auch Swingbands mit einem speziellen Weihnachtsprogramm. "Natürlich freuen wir uns über jede Anfrage. Aber wenn jemand einen Sologeiger möchte, weisen wir auch darauf hin, dass der als stundenlanger Alleinunterhalter nicht taugt, weil schlicht der Klangteppich im Hintergrund fehlt."

Nach Aussage der Arbeitsagentur rentiert sich die Arbeit der ZAV bereits, wenn nur 15 Prozent der betreuten Künstler vor Hartz IV bewahrt werden. Überhaupt bekommt die Vermittlung gute Zeugnisse ausgestellt: Vor Jahren habe der Rechnungshof sie überprüft, berichtet Dunst - mit dem Ergebnis, dass "die Tätigkeit der Künstlervermittlung im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags nicht in Frage gestellt" sei. Allerdings sei nicht nur die Einsparung von Leistungen das Ziel. "Wir haben auch den besonderen Auftrag, den Arbeitsmarkt in der Kultur zu bedienen."

Der Promifaktor spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Nur vereinzelt finden sich in der Homepage-Sparte Rock/Pop neben popularitätsfernen Muckern wie Hein & Kuddel oder Cheers, der Partyband, auch semibekannte Namen wie Guildo Horn oder die Kölner Band Brings. "Berühmte und teure Künstler haben ihre eigenen Agenten", sagt Andrea Nordbrink. In einigen Bereichen würde sich die Künstlervermittlung sogar um die Nachwuchsförderung kümmern, "was auch nicht gerade das Ding der Privatagenturen ist". ZAV-Mitarbeiterinnen sichten etwa Absolventen der Artistenschule Weißensee oder laden junge Schauspieler zum Vorsprechen.

Ja, sie weiß, das klingt ein bisschen nach "Arbeitsagentur sucht den Superstar", aber den Eindruck will Andrea Nordbrink unbedingt zerstören. Auf die Frage, ob sie nicht doch ein wenig Entdeckerehrgeiz besitze, antwortet sie nach einer kurzen Pause: "Mein Ehrgeiz besteht darin, dass die Leute ihr Leben als Musiker gestalten können und nicht irgendwann Bürokaufmann werden müssen. Ich liebe diesen Menschenschlag, denn es gehört viel Idealismus dazu, seine künstlerische Leidenschaft auf dem Markt durchzuziehen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.