Berliner Adventskalender (17): Die 17 Treppenhäuser des Kriminalgerichtes
Im Kriminalgericht Berlin-Moabit muss man sich nicht nur mit Paragraphen auskennen. Auch die verwinkelte Architektur lässt Ortsunkundige in die Irre laufen.
Schon nach zehn Minuten ist die Orientierung weg. Ist das hier jetzt Aufgang A oder B? Wo ist die Haupthalle? Und stimmt überhaupt das Stockwerk?
Im Altbau des Kriminalgerichts Moabit verlaufen sich nicht nur Besucher. Auch wer schon Jahre hier arbeitet, muss hin und wieder anhalten und überlegen. Nicht umsonst versah der ehemalige Justizsprecher Michael Grunwald seinen Beitrag zum hundertjährigen Jubiläum des Gebäudes mit dem Titel: "Ein Gebäude wird 100. Und Gerichtsunkundige brauchen fast genauso lang, um sich darin zurechtzufinden."
Maßgeblich zu den Orientierungsproblemen trägt die Anzahl der Treppenhäuser bei. Ganze 17 sind es. Einige von ihnen ausladend, mit verschnörkelten schwarzen Geländern mit Holzlauf; andere verspielt, sich steil wie Wendeltreppen nach oben schlängelnd; und ein paar liegen grau und schlicht hinter Türen versteckt. Würden nicht immer wieder blau gekleidete Justizbedienstete die Gänge entlanghasten, dann hätte das Gebäude etwas von einem Märchenschloss. Verlaufen auf dem Weg zur Prinzessin inklusive.
Dabei ist in der Theorie alles ganz einfach, denn das Gebäude ist weitgehend symmetrisch aufgebaut. In der Praxis stiftet genau das Verwirrung: Irgendwie sieht alles gleich aus. Hohe, ehrwürdige Gänge, kunstvolle Verzierungen und derzeit jede Menge Büromöbel, die auf den Fluren stehen. Schließlich werden Teile des Gebäudes gerade saniert. Mehr Orientierung als die Zahlen, die nicht nur Hinweise auf das Stockwerk, sondern auch auf den jeweiligen Gebäudetrakt geben, bieten daher - soweit möglich - Blicke aus den Fenstern: So lässt sich zumindest nachvollziehen, in welchem Teil des Gebäudes man sich befindet. Dem gesuchten Raum bringt es einen allerdings keinen Schritt näher.
Zu den 17 Treppenhäusern des Altbaus kommen übrigens noch diverse weitere in den Anbauten am hinteren Teil des Gebäudes. Hier macht die Bauweise die Orientierung zwar einfacher, die Wege dafür insgesamt weiter. Das führt bei langen Verhandlungen dazu, dass sich die Zahl der Zuhörer stetig minimiert: Die nächste Gelegenheit, Kaffee zu trinken oder eine Zigarette zu rauchen, ist gefühlte zwei Dutzend Treppenhäuser weit weg.
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