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■ BerlinalienOhne Kursbuch in die Hauptstadt

In Berlin zeigen sich seit der Wiedervereinigung manche ein wenig verwirrt, manche ein wenig überfordert. Warum sollte die Reichsbahn da anders sein? Der Hochgeschwindigkeitszug der Bahn, der InterCity Express (ICE), hält – zumindest bis zum 3. Juli – nicht wie ursprünglich vorgesehen an Berlins heimlichem Hauptbahnhof Zoo, sondern im Osten in Lichtenberg. Der Bahnkunde sollte diese und andere Merkwürdigkeiten aber gar nicht erst liebgewinnen, denn der Berliner Teil des Kursbuchs wird zum Winterhalbjahr selbstverständlich wieder umgeschrieben. Da bleibt den Zugreisenden als geringer Trost vorerst nur der Blick in die Zu(g)kunft, denn im nächsten Jahrzehnt soll einmal alles besser sein.

Sofern alles so wird, wie es Berliner und Bahner wollen, rollen die Züge nicht mehr nur in Ost-West-Richtung durch die Hauptstadt, sondern auch von Nord nach Süd. Wer das Kursbuchwälzen leid ist, bräuchte dann nur dort auszusteigen, wo sowieso jeder Zug halten wird: mitten in der Stadt am Lehrter Bahnhof, in dem sich Ost-West- und Nord-Süd-Achse kreuzen. In unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel könnte in Regionalzüge, in U- oder S-Bahn oder ins Taxi umgestiegen werden.

Doch so haben sich das die Planer nun auch wieder nicht gedacht. Fahren alle ins Zentrum, dann funktioniert nichts mehr – schon heute steckt dort der Verkehr im Stau und sorgt für dicke Luft. Um das Zentrum zu entlasten, soll es deshalb in jeder der vier Himmelsrichtungen jeweils einen anderen Fernbahnhof geben – für Spandau einen fünften.

Also auch in Zukunft durch das Kursbuch kämpfen? Vielleicht nicht, denn die subventionsgewöhnten Berliner haben bislang übersehen, daß die Kosten von zehn Milliarden Mark allein für eine erste Ausbaustufe von vier neu zu bauenden Bahnhöfen sowie vier Tunneln (!) unter dem Tiergarten und unter dem Regierungsviertel die Bundestöpfe ein wenig zu kräftig leeren könnte.

Und wegen des schnöden Mammons müssen tatsächlich schon jetzt die Architekturentwürfe für die neuen Bahnhöfe abgespeckt und auf einen Bahnhof gänzlich verzichtet werden. Opposition und Verkehrsverbände munkeln bereits, daß ohnehin nur der Bau des Zentralbahnhofs und gerade einmal der Tunnelröhren finanzierbar ist. Und wenn, das wäre ja auch eine gute Nachricht: Denn mit einem Zentralbahnhof, den zwar niemand so haben wollte, wüßte wenigstens jeder, wo er aussteigen muß – ohne Kursbuch. Dirk Wildt

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