■ Berlinalie: Die Post geht nicht mehr ab
„Berlin – eine Weltstadt.“ Die Post der Hauptstadt versieht diesen Werbeslogan mit einem Fragezeichen. Fest zum Sparen entschlossen, soll der einzige Berliner Nachtschalter am Bahnhof Zoo dran glauben. Zu nächtlicher Stunde finden eher Tippelbrüder und Nachtschwärmer den Weg in die warme Halle, Postkunden bilden nur eine Minderheit.
Mit akribischer Genauigkeit errechnete der Bundesrechnungshof, daß nach Mitternacht ganze acht Kunden pro Stunde den Nachtschalter aufsuchen. Das ist zu wenig, und deshalb soll im nächsten Jahr des Nachts der Stempelhammer schweigen.
Im Oktober einige Postämter, im nächsten Jahr der Nachtschalter. Die Versorgungsdichte sei zu groß gewesen, der Bedarf wäre zu gering, lauten die ewig gleichen Statements der Verantwortlichen, wenn gespart werden soll. Frei nach dem Motto: begründen kann man alles, wenn man nur will. Die Post macht wieder einmal von ihrer Monopol-Stellung Gebrauch, von dem Monopol auf Unterlassung. Die Gebühren steigen, die Leistungen werden geringer, ein merkwürdiges Geschäftsprinzip.
Doch die Oberpostdirektion hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Egal, wie viele der 3,6 Millionen Berliner den Nachtschalter jemals in Anspruch nahmen, die Öffentlichkeit reagierte erbost auf das Vorhaben der Post. Eine Metropole ohne Nachtschalter ist für viele nur schwer vorstellbar, geradezu metropopelig. Da nützt auch der gutgemeinte Verweis des Pressesprechers der Oberpostdirektion, Andreas Winkelmann, nichts, in München sei der Nachtschalter auch schon geschlossen worden. Und München, so sein fester Glaube, sei auch noch nicht im Sumpf der Provinzialität versunken. Doch München ist nicht Berlin, und so entschloß sich der Präsident des Postdienstes Berlin, Dieter Wöhlert, erneut zu untersuchen, wie viele Menschen in Berlin nachts die Post benötigen.
Löblich, löblich, und doch vergebens, denn der Ansatz ist falsch. Anstatt davon auszugehen, daß in einer Millionenstadt gewisse Dinge einfach selbstverständlich sind, wird nun wieder überprüft, was ohnehin schon feststeht: nachts drängeln sich die Menschen nicht gerade vor den Postschaltern. Die Mexikanerin, die eine Telefonkarte braucht, um in ihr Land zu telefonieren (dort ist des Nachts nämlich gerade der frühe Abend angebrochen), oder der Reisende, der seine Traveller-Schecks einlösen muß, die wird es weiterhin geben. Doch am Bahnhof Zoo stehen diese Menschen dann nachts vergebens. Wie war das noch, Berlin – eine Weltstadt?! Thomas Nagel
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