■ Berlinale-Anthropologie: Rück- und Ausblick
Noch einmal ins Kino International an der Karl-Marx-Allee, noch einmal Kim Novak. Diesmal zusammen mit K. Ihr gefällt der Aufstieg ins Licht – zum oberen Foyer und dem Kinosaal – prächtig; während ich wieder einen leicht schlammigen Kaffee nehme, ordert sie ein Mineralwasser. Wir haben noch Zeit. Wir studieren die sowjetisch-antiken Reklameschriften auf den Dächern der Häuser, die blinden Scheiben des sozialistischen Luxuslokals „Moskau“ gegenüber. Die anderen Wartenden studieren auch; der junge Mensch, fällt mir wieder auf, braucht viel Süßfutter, insbesondere der männliche.
Auch der Kinosaal gefällt K. prächtig, „bloß dieser gleißende Vorhang: ein bißchen zu sehr Brautkleid.“ Von dem weiblichen Jungmenschen mit dem dicken roten Haar, drei Reihen weiter vorn, stellt sich heraus, daß sie jeden, ja, jeden Film mit Kim Novak hier absitzt; von dem jungen Paar eine Reihe nach hinten wird sich zeigen, daß vor allem er bei den anstehenden Enthüllungen über das somnambule Suburbia der Fünfziger allzu mechanisch in Kichern ausbricht.
Heute Richard Quine, „Strangers When We Meet“ (1969); Kirk Douglas, von seinem kleinen Frauchen in seiner Genialität unterschätzter Architekt, und Kim Novak, von ihrem Charles Bovary drastisch vernachlässigte grüne Witwe, bringen es zu einer heißen Affäre, die Kirk Douglas schließlich abbricht, um mit Frauchen und zwei Söhnchen nach Hawaii weiterzuziehen, wo ein überlebensgroßer Auftrag ihn erwartet. Zwischenzeitlich hatte er für Ernie Kovacs, Bestseller-Autor, ein avantgardistisches Eigenheim in den Hügeln von Beverly Hills geschaffen, an dessen Baustelle die Liebenden immer wieder zusammentrafen.
Stimmt, sage ich, als wir wieder auf die Karl-Marx-Allee treten, damals sprossen allenthalben die grünen Witwen mit ihrer Langeweile und ihrem Lebensüberdruß aus dem Problemboden; überhaupt, schließt K. an, begann diese gesellschaftliche Selbstbesorgnis, die uns heute mit Kindesmißbrauch, Rinderwahn und Entsolidarisierung beschäftigt: Damals traten zu den grünen Witwen noch die Schlüsselkinder und die Managerkrankheit hinzu. Die ersten Themen der gesellschaftlichen Selbstbesorgnis, sage ich, die nicht mehr mit Krieg und Nachkrieg zusammenhängen, die ersten Themen der affluent society. Kim Novak, unterbricht K., ist als weiblicher Star wirklich aufschlußreich: noch vor dem Feminismus, aber schon nach der Hysterie als Leitmedium. Dazu paßt die Verhaltenheit, Schüchternheit, Depression. Man vergleiche sie mit Elizabeth Taylor (die das Fernsehen eben als schweres Muttermonster zu ihrem 65. Geburtstag zeigte, Hand in Hand mit Michael Jackson). Daß man die Filme mit Taylor so als Reihe sehen möchte wie jetzt die mit Novak, daß man daraus etwas erfährt über die Nachkriegszeit, eine abgelebte Frauenkonzeption, das Dasein vor der Emanzipationsperiode, das ist ganz unwahrscheinlich.
Taylor (nicht Novak) ist der „artificially groomed star“, der während der schweren Hollywoodkrise, bis Coppola, Spielberg et al. die Macht ergriffen, nur noch pro forma als Objekt des Starkults präsentiert wurde: bloß weil Frauen beim Friseur weiterhin Illustrierte lasen.
Während Novaks üppiger und seltsam scheuer Körper wirklich ein Kapitel Frauengeschichte erzählt, ist Taylors Körper von Tabletten durchdrungen: Unvorstellbar, die Geschichte eben mit Taylor in der weiblichen Hauptrolle zu sehen; Das Gekicher hinter uns hätte sich zum Röhren gesteigert, allein das strohig-schwarz gefärbte Haar und der konstante Ausdruck schweren Beleidigtseins, den Taylor kultivierte ... („schwere Vorwurfspersönlichkeit“).
So zeigt sich die historische Bewegung, daß die Kinogeschichte weitergeht, nicht am leuchtenden Tor in der Zukunft, sondern an den unmerklichen Veränderungen, die am historischen Bestand – den Filmen mit Kim Novak – plötzlich in Erscheinung treten. Schade, schließt K., daß die Frau selber, wie ihr Auftritt in Berlin zeigte, durch kosmetische Operationen sich ins Reich der Untoten hat beamen lassen wie unser Hildchen Knef. Michael Rutschky
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