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Berlin

■ betr.: "Metropole statt Peripherie", taz vom 21.4.90

betr.: „Metropole statt Peripherie“, taz vom 21.4.90

Berlin braucht Mythen, hat sich Tilman Fichter gedacht und wacker drauflosfabuliert. Schließlich geht es ihm um eine Stadt, die dabei ist, aus ihrer Exterritorialität auf den Boden Osteuropas zu fallen. Ihr Umland ist die Gesellschaft der DDR, die in ihrer Großfamilie Warschauer Pakt zu Hause war und nun bar jeder Demokratiepraxis nach Westen will.

Berlin hat, hauptstädtisch, knapp 50 Jahre Monarchie zu bieten, 15 Jahre Republik, zwölf Jahre Massenmordzentrale und 45 Jahre ausgehaltene Inselexistenz mit Frontstadtfeeling. Um ihr derzeitiges Hinterland und sein politisches Bewußtsein ist die Stadt nicht zu beneiden. Es macht sie zur Provinzmetropole.

Kann sein, daß Fichter dies ahnt und verdrängt, weil's schmerzt. Das würde erklären, warum er seinen Parteifreunden und der taz-Leserschaft die Mär von der „braunen Provinz“ aus den dreißiger und vierziger Jahren auftischt, anstatt von der aktuellen dumpfrot-schwarzen Provinz zu reden, die Sachsen, Mecklenburg oder Brandenburg heißt.

Das Problem mit Berlin ist ja nicht die Historie von Preußens Gloria oder Reuters Opferschrei, es ist die Gegenwart, die von ihrer jüngeren Vergangenheit nichts wissen will. Nächstes Jahr zum Beispiel, geht's um einen 30.Geburtstag, wie ihn keine Stadt der Welt zu bieten hat: die deutsche Mauer und wie Leute wie Tilman Fichter mit ihr landestin umgingen, im Nebenberuf als Tunnelbauer.

Johannes Winter, Rosbach

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