: Berlin verstößt gegen Dayton-Abkommen
■ Das Verwaltungsgericht moniert die restriktive und kontraproduktive Politik gegenüber bosnischen Flüchtlingen
Die 30.000 in Berlin lebenden bosnischen Flüchtlinge können hoffen. In einem Beschluß mit wegweisender Bedeutung hat das Verwaltungsgericht die Ausländerbehörde verpflichtet, einem bosnischen Schriftsteller und Schauspieler eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Der Beschluß der 35. Kammer wurde jetzt rechtskräftig, weil die Ausländerbehörde – absichtlich oder unabsichtlich – keine Rechtsmittel dagegen eingelegt hatte. Der Bosnier war Ende 1993 mit seiner Frau und zwei Kindern nach Berlin geflüchtet, hatte hier aber nur eine Duldung bis zum März dieses Jahres bekommen.
Die Weisung der Ausländerbehörde vom 12. Januar 1996, statt Aufenthaltsbefugnissen nur Duldungen auszusprechen, sei „rechtswidrig“, entschied die Kammer. Den schon länger in der Stadt lebenden Kriegsflüchtlingen seien Aufenthaltsbefugnisse zu erteilen. Das ergebe sich zwingend aus den Regelungen, die Ende 1992 zusammen mit dem sogenannten Asylkompromiß verabschiedet wurden (Aktenzeichen VG A 1608/95).
Dem Berliner Senat wirft das Gericht vor, mit seinen Aufenthaltsversagungen und Abschiebedrohungen gegen das Dayton-Abkommen zu verstoßen. Danach sollen „auf freiwilliger Basis“ zuerst die Flüchtlinge zurückkehren, die innerhalb Bosniens geflohen sind, dann die in die Nachbarstaaten Geflüchteten und schließlich erst diejenigen Flüchtlinge, die in den reichen Staaten Westeuropas Schutz fanden.
„Die Bundesrepublik Deutschland war als Mitglied der Kontaktgruppe maßgeblich am Zustandekommen des Dayton-Abkommens beteiligt, so daß es eigentlich nicht zu verstehen ist, wenn die dort getroffenen Regelungen ... durch bundesdeutsche Behörden gefährdet werden“, beanstandet das Gericht.
Darüber hinaus erreicht die Senatsverwaltung für Inneres genau das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigt: Mit der Verweigerung von Aufenthaltsbefugnissen zwingt sie rückkehrwillige Menschen zum Hierbleiben. Transitländer wie Kroatien lassen aus Angst vor unkontrollierbaren Flüchtlingsströmen nämlich nur diejenigen durch ihr Territorium reisen, die eine Befugnis im Paß haben und damit nach Deutschland zurückkehren könnten.
„Wir bekommen laufend Anfragen von Flüchtlingen, die eine Befugnis nur deshalb begehren, weil sie in ihre Heimat wollen“, so Verwaltungsrichter Percy MacLean gegenüber der taz.
Zweiter, nicht minder kontraproduktiver Effekt dieser Politik: Sie provoziert eine Prozeßlawine, die das Verwaltungsgericht völlig lahmlegen könnte. Die Ausländerbehörde hat bereits rund 7.000 bosnische Flüchtlinge aufgefordert, bis zum 1. Juli in ihre Heimat zurückzukehren, andernfalls würden sie abgeschoben.
Um sich davor zu schützen, klagen jetzt immer mehr von der Abschiebung Betroffene auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Beim Verwaltungsgericht stapeln sich Tausende unerledigte Verfahren. Bei den zuständigen Kammern gingen tagtäglich rund 50 Neuanträge ein, insgesamt könne mit 50.000 Anträgen gerechnet werden, schätzt Richter MacLean. Das sei wegen des Stellenstopps auf absehbare Zeit nicht mehr abzuarbeiten.
Dabei sind viele der Klagen aussichtsreich. Eine Abschiebung oder Rückführung nach Bosnien sei überhaupt nicht möglich, deswegen müsse die erteilte Duldung verlängert werden, erklärte die 35. Kammer vor kurzem in einem anderen Präzedenzfall. (Akt. VG 35 A 74/96) Denn bislang gibt es keine Flüge in das kriegszerstörte Land und, weil ein Transitabkommen mit Bosniens Nachbarstaaten scheiterte, auch keinen Transit auf dem Landweg. Will die Ausländerbehörde die Menschen nach Bosnien beamen? Ute Scheub
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