piwik no script img

Berlin und seine Beckenbäuerchen

■ Eine harmlose, aber hochansteckende Infektionskrankheit sucht zur Zeit ganz Berlin heim / Und Galileo Galilei hatte doch unrecht

Berlin. Eine „totale Sonnenfinsternis“ hatte das Steglitzer Planetarium in den Zeitungen für gestern, 20 Uhr, avisiert. Doch nach den Worten eines Anrufers bei der taz ging es nicht nur um die Inszenierung eines Naturwunders, sondern um das Gegenteil: die Entmachtung der Naturgesetze. Hörbar erschüttert berichtete er von seinem Erlebnis: „Ja, also, zuerst sahen wir in die Sonne. Der Mann, der uns durch das Planetarium führte, kündigte uns an, daß sie sich nun gleich verdunkeln würde, weil der Mondschatten sich drüber schiebt. Das tat er auch. Aber als es endlich wieder heller wurde, sahen wir, daß die Sonne plötzlich so komisch aussah. Sie hatte lauter schwarze Flecken, ganz regelmäßige, fünfeckige...“

Dem Manne konnte geholfen werden. taz-Redakteure wiesen ihn darauf hin, daß er sich offenbar nur die zwar hochansteckende und fiebertreibende, aber letztlich harmlose Influenza Abseitsis geholt habe, die derzeit die ganze Stadt heimsucht. Ihr herausragendes Symptom ist ein ausgeprägtes Völlergefühl, verbunden mit ständigen Beckenbäuerchen, die vor allem nach übermäßigem Salzstangengenuß im Sitzen entstehen.

Polizei, Volkspolizei und der Seuchendienst der Charite warnen gefährdete Personen dennoch vorsorglich, folgende amtlich festgestellten Infektionsherde nicht mehr aufzusuchen: das Zelt bei der „Osteria“ am Kreuzberg; das Tempodrom; das Festzelt am Stuttgarter Platz; die Großleinwand im Lustgarten. Die Gesundheitspolizei vermutet, daß sich die Ansteckung auch oder sogar vorwiegend über Flaschenbier vollzieht. Ein weiterer Verdacht richtet sich auf das sogenannte Häßlern - ein neuer Volkssport, der auf hippeligem Trippeln auf den Zehen des Nachbarn beruht und die körperliche Konstitution grundlegend angreift.

Doch wenn alles zu spät und am Sonntag abend ab 20 Uhr jede Heilung fern liegt, dann hilft nur noch ein Blick in die Bibel und ein Stoßgebet zum Himmel. Lesenswertes zum Foulspiel bietet Mannschaftskapitän Matthäus (5 V.38): „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt; sondern wer dich auf den rechten Backen schlägt, dem biete auch den andern dar.“ Der Abwehr rät er Ähnliches: „Und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei!“ Und auch für seine Stürmer hat er Passendes gefunden: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde und bittet für die, welche euch verfolgen.“ Amen.

usche

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen