Berlin und die Europawahl (4): Ausbildung: Das "Lernende Kaufhaus" lernt Kapitalismus

In einer Boutique in Hellersdorf erproben Azubis den Markt - mit EU-Geldern.

René Hartmanns Leidenschaft ist der Wein. Wein trinken mag er, Wein verkaufen fast noch lieber. Sein Traum: Fachverkäufer in einer Weinhandlung. Um diesem Traum einen Schritt näher zu kommen, steht der Auszubildende im dritten Lehrjahr als Verkäufer in einer Boutique für Damenmode im ersten Stock eines Hellersdorfer Shopping-Centers.

Es ist ein Center, wie es in jedem beliebigen Bezirk in jeder beliebigen Stadt stehen könnte. Einkaufen auf zwei Etagen, zwischen Blumenkübeln und Chris de Burgh für die gute Laune. "Ich liebe es, zu beraten", sagt Hartmann und steuert auf eine Kundin zu. "Was kann ich für Sie tun?", fragt er. Auch, wenn er noch in der Ausbildung ist - Hartmann ist Profi. Da fragt man so, dass der Kunde nicht mit Ja oder Nein antworten kann. Der 27-Jährige hat zuvor schon eine Ausbildung als Verkäufer im Lebensmittelbereich abgeschlossen. "Aber um meine Chancen zu steigern, wollte ich unbedingt den Kaufmann dranhängen", erzählt er, während er beiläufig einen Stapel Oberteile an der Regalkante ausrichtet.

Zu der Damenboutique in Hellersdorf kam er nicht durch Zufall. "Das Lernende Kaufhaus" hat der gemeinnützige Träger, die Akademie für Berufsförderung und Umschulung (ABU), das Projekt genannt. Dabei sollen weniger das Geschäft als die Azubis lernen: Sämtliche Arbeiten, die zum Führen eines mittelständischen Einzelhandelsunternehmens gehören, setzen Auszubildene hier praktisch um. Der Umgang mit Zahlen und Geld gehört ebenso dazu wie Kundenbetreuung und Marketing. Seit 2006 gibt es den Laden, zum Start wurde er mit 707.405 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert. 252 Teilnehmer haben hier innerhalb der letzten drei Jahre entweder einen Berufsabschluss oder eine Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt gemacht - vor allem Menschen bis 25 Jahre.

René Hartmann ist bereits 27. Doch sein Abschluss steht vor der Tür: Noch im Juni wird er die letzte Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer absolvieren "und mit Bravour bestehen", ist sich Projektleiterin Erna Kunze sicher. Wie zum Beweis tritt Hartmann vorsichtig an eine Kundin heran, die er zuvor aus dem Augenwinkel beobachtet hat, und verwickelt sie in ein Gespräch. "Ich möchte, dass der Kunde zufrieden nach Hause geht", erklärt er später.

Die Kunden sind eines der Probleme, die das "Lernende Kaufhaus" hat. Es gibt zu wenige. Innerhalb von zwei Stunden finden gerade mal eine Hand voll potenzieller Käufer ihren Weg in das 100 Quadratmeter große Geschäft - die Kasse klingelt kein einziges Mal. Das verhaltene Kundeninteresse mag an dem Standort liegen, vermutet Controllerin Elvira Wenda. Doch im Erdgeschoss des Centers könne man sich die Miete nicht leisten. Auch ganz andere Standorte habe man in Erwägung gezogen, doch das Projekt soll im Bezirk bleiben und dort seien günstige und zugleich attraktive Standorte rar. "Der Bedarf ist nicht in dem Maße da, wie wir uns das erhofft hatten", fasst Projektleiterin Kunze zusammen. Ausbildung und gewinnbringende Unternehmensführung zusammenzubringen, sei nicht so leicht. Momentan werde von Quartal zu Quartal entschieden, ob der Betrieb aufrechterhalten bleibe.

Ein Aus würde nicht nur der Träger bedauern - sondern auch die aktuellen Azubis. "Ich wollte auf Grund des guten Arbeitsklimas hierher", erklärt Hartmann. "Man hat viele kreative Möglichkeiten, kann viel selbst gestalten", findet er. Dabei schielt er schon wieder in Richtung Eingang. Es könnte ja die nächste Kundin kommen. SVENJA BERGT

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