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■ Die Skepsis ist längst verflogenBerlin setzt auf die Vertreibung der Drogenabhängigen. Im Ausland ist das anders: Während in Basel positive Erfahrungen mit Druckräumen gemacht werden, ist dies in Amsterdam kein Thema mehr

Basel (taz) – Tag für Tag zur Feierabendzeit versammeln sich Dutzende junger Menschen vor drei ausgebauten Holzbaracken am Rande der Basler Innenstadt. Wenn um 17 Uhr die Tür aufgeht, haben alle zuerst nur ein Ziel: Sie wollen in ein kleines Abteil mit Desinfektionsmittel und Injektionsnadel und sich ihren mitgebrachten Schuß Heroin setzen – unter sauberen Bedingungen, ruhig und mit dem Wissen, daß Hilfe jederzeit erreichbar ist.

Im Juli 1991 wurde in Basel das erste sogenannte „Gassenzimmer“ eröffnet. Mittlerweile gibt es insgesamt drei davon. Die Süchtigen haben an sechs Tagen der Woche während vier Stunden nicht nur Gelegenheit, sich ihr mitgebrachtes Heroin zu injizieren, sie können sich auch in der Teestube ausruhen, etwas essen und trinken und: reden. Nicht zuletzt über ihren Gesundheitszustand. Zweimal in der Woche steht – neben der jederzeit erreichbaren medizinischen Nothilfe – ein Arzt zur Verfügung, um PatientInnen ambulant zu betreuen. Außerdem sind ständig SozialarbeiterInnen zur individuellen Betreuung vor Ort, die auch den Kontakt zu Therapieeinrichtungen herstellen können. Aber das steht gar nicht im Vordergrund. Zuerst hat man in Basel begonnen, die psychosoziale und gesundheitliche Situation der Junkies zu verbessern, sie aus dem Streß der „Gasse“ zu holen, der Gefahr der Aids- Ansteckung, der Verelendung und der Dissozialisierung entgegenzuwirken.

Der Basler Drogendelegierte Reto Zbinden wertet das Konzept der „Gassenzimmer“ als vollen Erfolg. Die lokale „Scene“ der 400.000-Seelen-Agglomeration hat sich deutlich beruhigt. Die große Masse der geschätzten 1.500 schwer Heroinabhängigen verteilt sich heute wenigstens am Abend auf die dezentralen Gassenzimmer. Darum ist man auch bestrebt, die täglichen Öffnungszeiten auszudehnen und alle Gassenzimmer an sieben Tagen in der Woche offenzuhalten.

In Basel, sagt Emil Ehret von der Interessengemeinschaft Kleinbasel, einstmals vehementer Gegner jeder Form von akzeptierender Drogenpolitik, habe die Einrichtung des sogenannten „Drogenstammtisches“ eigentlich alles in Bewegung gebracht. InteressenvertreterInnen der Anwohnerschaft der lokalen Szene und DrogenarbeiterInnen, die sich vormals in der Presse unversöhnlich gegenüberstanden, setzten sich zum ersten Mal gemeinsam an einen Tisch. Dort wurde nach heißen Diskussionen das Konzept der Gassenzimmer geboren. Heute ist Emil Ehret ein überzeugter Anhänger dieses Konzeptes. „Wissen Sie“, sagt er, „meine Werkstatt ist hier mittendrin, ich habe früher 15jährige Mädchen gekannt, die an Überdosen gestorben sind. Die Gassenzimmer hier retten Leben, und zwar nicht wenige.“

Vertrauensbildende Maßnahmen haben das Ihrige dazu beigetragen: Seit das erste Gassenzimmer an der Basler Spitalstraße eröffnet wurde, haben sich die BetreiberInnen bemüht, durch Informationsveranstaltungen und Hausbesuche mit den argwöhnischen bis offen ablehnenden Anliegern ins Gespräch zu kommen. Mit Erfolg, so Reto Zbinden. Das anfängliche Mißtrauen der Nachbarn konnte zerstreut werden. Vor allem ist es entgegen der Befürchtungen der AnwohnerInnen nicht zur Bildung von lokalen offenen Szenen mit Drogenhandel um die Gassenzimmer gekommen. Das war Effekt einer geschickten Standortwahl. Die Basler Gassenzimmer liegen in einem Dreieck um die freilich immer noch existierende Dealer-Szene am Rhein, nah genug, um von den mit Stoff versehenen Junkies noch erreicht zu werden, aber weder in ausgesprochenen Geschäfts- noch dichtbesiedelten Wohnvierteln. Außerdem sorgen die drei Gassenzimmer dafür, daß jeder Standort eine überschaubare Größe behält. Langsam bilden sich so sogar soziale Strukturen: Jedes Gassenzimmer hat seine Stammgäste, man kennt sich, beginnt sich zu vertrauen. An der Spitalstraße hat es im September zum zweijährigen Bestehen gar ein Fest mit den AnwohnerInnen gegeben.

Gassenzimmer, auch Fixerräume genannt, gibt es in der Schweiz auch in Zürich, Bern und Luzern. Der erste Fixerraum wurde schon 1986 in Bern eröffnet. Damals befanden sich die BetreiberInnen noch in einer rechtlichen Grauzone. Aber ein vom Bundesamt für Gesundheitswesen angefordertes Gutachten des Strafrechtlers Hans Schultz bescheinigte dem Fixerraum strafrechtliche Bedenkenlosigkeit. Schultz kam in seinem Gutachten zum Schluß, daß im Betäubungsmittelgesetz der Gedanke der Hilfe für Drogensüchtige den der Repression überwiege. Unter Hilfe ist nach dem unwidersprochen gebliebenen Gutachten auch eine Betreuung zu verstehen, die sich vorläufig mit dem Konsum des Abhängigen abfindet und zunächst nur das Überleben und die gesundheitliche Stabilisierung des Süchtigen zum Ziel hat.

Nun folgt überall die politische Umsetzung, denn in allen von offenen Drogenszenen betroffenen Städten haben die BetreiberInnen mit Widerständen zu kämpfen. Schritt für Schritt setzt sich aber die Erkenntnis durch, daß es mit verstärkter Repression des Konsums, mit „more of the same“, weiterhin nur Verlierer geben kann. Jascha Preuss

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