Berlin setzt auf Stadtrendite: Ein klingendes Konzept
In Berlin herrscht keine Katerstimmung. Denn ehemalige Partymacher vom Spreeufer mobilisieren kulturelles Kapital.
Am Mittwoch hatten sie alle noch einen Kater, die Macher des Kater Holzig, die Betreiber der legendären Bar 25 und die Architekten, die an die Spree eine Art Skulptur der kreativen, kommunitären Klasse beamen wollen.
Seit Dienstag ist nämlich klar: Die Holzmarkt-Genossenschaft, zu der sich die Akteure zusammengeschlossen haben, hat im Bieterkrimi um ein landeseigenes Grundstück den konkurrierenden Investor aus dem Rennen geworfen. Die Projektemacher haben mehr Kohle auf den Tisch gelegt als der Projektentwickler. Das vielleicht aufregendste Projekt in Berlin – mit urbanem Dorf, Mörchenpark, IT-Zentrum, Clubs und Ateliers sowie Studentenwohnheim – kann beginnen.
Der von vielen erhoffte Lackmustest für eine andere Liegenschaftspolitik ist aus dem Spreegrundstück aber nicht geworden. Das wäre nur möglich gewesen, wenn die Holzmarkt-Leute weniger geboten hätten als der Investor. Dann wäre es an der Politik gewesen, zu entscheiden, ob ein gutes Konzept den Zuschlag bekommt oder, wie bisher üblich, der meistbietende, also das Kapital. Man kann es auch so sagen: Dass die Holzmarkt-Leute, mit einem Schweizer Pensionsfonds im Rücken, den Investor ausgestochen haben, ist gut für Kreuzberg, Friedrichshain und die Spree. Für den Neustart der Berliner Liegenschaftspolitik ist es dagegen ein Rückschlag.
Gerade nämlich erst hat der Berliner Senat aus SPD und CDU beschlossen, bei der Vergabe landeseigener Grundstücke nicht mehr nur auf das Klingeln im Geldbeutel zu hören, sondern auch auf den Klang des Konzepts. Stadtrendite heißt das Stichwort, das künftig in die Bewertung einfließen soll. Mit Sicherheit hätte das Holzmarkt-Projekt auch da die Nase vorn gehabt.
Ein CDU-Mann, der ehemalige Kultursenator Volker Hassemer, hatte dem Projekt in der taz sogar attestiert, die Kraft zu einem neuen Kulturforum zu haben. Auch die SPD hatte sich vehement für die ehemaligen Partymacher stark gemacht. Mit dem Höchstgebot hat die Holzmarkt-Genossenschaft, so paradox es klingt, die Politik aus ihrer Verantwortung entlassen.
Der Druck ist also raus. Das werden vor allem jene Projekte zu spüren bekommen, die weniger Öffentlichkeit mobilisieren können als die Ex-Bar 25, die weit über die Stadt hinaus Berlins Image von arm und sexy bebildern konnte.
Dass dennoch keine Katerstimmung herrscht, liegt am kulturellen Kapital, dass der Holzmarkt für Berlin mobilisieren kann. Aus temporär wird stetig: In dieser Dimension ist das in Deutschland einmalig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“