piwik no script img

■ Berlin schaut nicht nach OstenKein Bock auf Polen

Die fünfzigste Sitzung des Stadtforums hätte wieder einmal ein Schmankerl in der leidlich dröge gewordenen Planungsrunde werden können. Gründe waren reichlich vorhanden. Mit Trara und einem Glas Schampus hätte man das halbe Hundert feiern können, denn kaum ein Expertengremium hat länger zusammengehalten als das Stadtforum – von den Reibungsverlusten und lustlos Abgewanderten einmal abgesehen. Auch das Programm der Diskussionsrunde war nicht ohne Pfiff, sollte doch über die politischen und wirtschaftlichen Perspektiven von Berlin und Brandenburg in Richtung Osten debattiert werden. Was für ein Thema, kann man sich doch derzeit über die Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Moskau auf den Festwochen sowie in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ein Bild von den geschichtlichen Verflechtungen – aber auch Konfrontationen – machen: Naum Gabo in Berlin, die Architekten der klassischen Moderne in Moskau, der „Feuervogel“ auf hiesigen Bühnen. Nichts lag Berlin näher als seine östlichen Nachbarn. Die Stadt war ein Schmelztiegel fremder Kulturen und zehrt noch heute davon, auch wenn sich die Sicht mit starrem Blick aufs Geld nun nur noch Westen richtet.

Doch was mußte man im Stadtforum hören? Die Stadt und das Umland haben kein wirkliches Konzept, die spezifischen Ost-West- Verbindungen wiederzubeleben. Gerade einmal über den möglichen Brötchenhandel an der „Grenzregion“ zur Oder kann man sich mühsam verständigen, und ein paar Autobahnen mehr in Richtung Warschau und Moskau sollen den Rest schon richten. Man sei sich eben fremd geworden über die Jahre, konnte der Besucher aus den Beiträgen hören, Berlin sei nicht mehr das, was es einmal war, und „latent rassistisch“ obendrein.

Es führt kein Weg am Osten vorbei. Wer nicht will, daß jenseits der Oder die Welt aufhört, der muß mit Plänen im Kopf und in der Tasche sowie mit Mut die – eigenen – Grenzen überschreiten. Die Abschottung gegenüber den östlichen Nachbarn muß ein Ende finden. Ein gemeinsames Entwicklungsprogramm für die grenznahen Regionen wäre der Anfang. Die gegenseitige kulturelle und wirtschaftliche Vernetzung ein Ziel. Doch Berlin schaut nicht nach Osten – zu seinem eigenen Nachteil. Rolf Lautenschläger

Siehe Bericht auf Seite 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen