Berlin hat eine Imamschule: Berufsschüler in Gottes Diensten
37 Schüler lernen an Berlins erster Imamschule. Viel Kontakt zur Außenwelt haben die Internatszöglinge nicht. Der Träger hofft auf offizielle Anerkennung der Ausbildung.
Eins kann man über Berlins erste Schule für Imame auf den ersten Blick sagen: Es handelt sich mit Sicherheit um eine der saubersten Schulen der Stadt. Auch ein gutes Jahr nach der offiziellen Eröffnung blinkt und blitzt es in den Gängen und Zimmern und selbst in den Waschräumen des "Buhara-Instituts", der Ausbildungsstätte für islamische Geistliche - so dass es jedem Lehrer staatlicher Schulen Tränen des Neids in die Augen treiben mag. Kein Gekritzel verunziert Möbel oder Wände, kein Fetzchen Papier den Fußboden. "Und das ist immer so!", versichert Schulleiter Alexander Weiger: "Nicht nur, weil heute Besuch da ist."
Der Besuch ist kein geringerer als der Innensenator. Im prunkvollen Festsaal der Schule ist deshalb ein Tisch für gut 30 Personen gedeckt. Doch Ehrhart Körtings Begleitung besteht nur aus vier Leuten: zwei Mitarbeiterinnen, zwei Polizeibeamte. Ein spezielles Anliegen hat der SPD-Politiker nicht. Der Besuch ist einer von vielen des Senators bei den Muslimen der Stadt: Im Zuge der Islamkonferenz des Bundes besucht er speziell die, die dort nicht eingeladen sind.
Das Buhara-Institut wurde von Mitgliedern der Semerkand-Moscheegemeinde in Tiergarten gegründet, einer Moschee, die den sufistischen Islam des türkischen Naqschbandi-Ordens vertritt. Die Gemeinde ist sehr aktiv in interreligiösen Dialogen und betreibt auch Gefangenenseelsorge: kein Verein, den der Verfassungsschutz überwacht. Entsprechend locker verläuft der Besuch. Körting beeindruckt seine Gastgeber, als er arabische Worte vorliest: Zwei Semester Arabisch habe er studiert, erzählt der Senator. Die Buchstaben habe er zwar behalten, verstehen könne er die Sprache aber nicht.
Wie schwierig die zu lernen ist, wissen auch die angehenden Imame. Zehn Stunden Arabisch pro Woche stehen auf ihrem Stundenplan. Nicht nur den Koran, sondern auch auf Arabisch verfasste Schriften muslimischer Geistlicher sollen sie lesen und verstehen können. 37 Schüler beherbergt die Internatsschule im früheren Kulturhaus der DDR-Eisenbahner in Karlshorst zurzeit. 29 davon drücken bereits im zweiten Jahr hier die Schulbank, acht "Erstklässler" sind zum neuen Schuljahr im September 2009 dazugekommen - ausgewählt aus etwa 20 Bewerbern, wie Schulleiter Weiger betont. Insgesamt bietet die Schule 68 Plätze für die in der Grundstufe drei komplett sechs Jahre dauernde Ausbildung. 4.000 Euro beträgt das Schulgeld pro Jahr, das Internatsleben ist Pflicht.
Bislang stammen alle Schüler des Buhara-Instituts aus türkischen Einwandererfamilien aus ganz Deutschland. Für das kommende Schuljahr, erzählt Weiger, habe aber auch der erste deutschstämmige Schüler Interesse angemeldet - ein Konvertit wie der Schulleiter selbst, dem seine bayerische Herkunft deutlich anzuhören ist. Dass manche Schüler des ersten Jahrgangs bereits wieder abgesprungen sind, könne an der leichten "Knastatmosphäre" des Internats liegen, wie Weiger selbstkritisch sagt.
Tatsächlich wirken die Schlaf- und Aufenthaltsräume der Schule ausgesprochen nüchtern: einheitliche Bettwäsche in penibel aufgeräumten Achtbettzimmern, schmale Metallspinde - kein Bild, kein Foto verziert die Wände. Immerhin: Ein Fußball- und ein Basketballplatz, sogar eine Spielekonsole stehen den jungen Männern zur Verfügung, auch Musik sei den Schülern erlaubt, erklärt Yasar Erkan. Der gelernte Maschinenbauingenieur Erkan ist Vorsitzender des Buhara-Instituts und einer der Schul-Gründer aus der Semerkand-Gemeinde.
Viel Zeit für Freizeitvergnügungen haben die Schüler des Imam-Internats sowieso nicht: Neben dem zehnstündigen Arabischunterricht stehen je fünf Stunden Religion und islamisches Recht, je zwei Stunden Deutsch und Gesellschaftskunde auf dem Stundenplan - dazu noch zwei Stunden Türkisch pro Woche. Das Buhara-Institut will Imame ausbilden, "die mit türkisch- und arabischsprachigen Muslimen kommunizieren" und dabei "die Problemstellungen der Gesellschaft, in der sie tätig sind, begreifen können", heißt es auf der Internetseite des Vereins. Den bislang meist aus den Herkunftsländern "importierten" Imamen der muslimischen Gemeinden in Deutschland sei die hiesige Lebenswelt oft fremd, meint Erkan: "Sie können nicht in die Seelen der Menschen hier blicken."
Viel Kontakt zur Außenwelt, zur Berliner Gesellschaft haben die Internatszöglinge allerdings nicht. Die meiste Zeit verbringen sie im Schulhaus - auch an den Wochenenden, erzählt der Schulleiter: "Für viele lohnt es sich wegen der weiten Heimwege nicht, nach Hause zu fahren." Mit dem Bürgerverein Karlshorst haben die Schüler eine mehrstündige Führung durch den Stadtteil gemacht, auch im Berliner Abgeordnetenhaus waren sie schon. Ein geplanter Besuch im Bundestag hat noch nicht geklappt.
Ob die Schule auch den Austausch mit anderen Religionsgemeinschaften pflege, möchte Körting wissen. Man habe einmal eine christlich-orthodoxe Gemeinde besucht, erzählt Religionslehrer Ridvan Sönmez: "Wenn wir weitere Einladungen bekommen, nehmen wir die wahr."
Die Fragen der Internatsvertreter an den Senator beziehen sich vor allem auf die Zukunft der Schule. "Wir möchten als Berufsfachschule anerkannt werden", sagt Erkan. Bisher ist das Buhara-Institut eine sogenannte Ergänzungsschule: eine Schule, die ein ergänzendes Angebot in der Berliner Bildungslandschaft macht. Die Schulpflicht kann mit dem Besuch der Imamschule nicht erfüllt werden. Alle Schüler müssen deshalb bei Aufnahme 18 Jahre alt und im Besitz mindestens eines Hauptschulabschlusses sein. Die mehrjährige Ausbildung an der Imamschule führt nicht zu einem anerkannten Berufsabschluss.
Um die Zukunftsaussichten der künftigen Imame macht sich Erkan trotzdem wenig Sorgen: Die Islamische Föderation Berlin etwa habe bereits Interesse an Absolventen gezeigt. "Aber was wird aus uns, wenn tatsächlich eine offizielle universitäre Imamausbildung eingeführt wird?", fragt Erkan. Dies falle in den Zuständigkeitsbereich des Bildungssenators, lautet Körtings Antwort: "Gott sei Dank!"
Zum Abschied verspricht der Senator, sich um den Besuch der Imamschüler im Bundestag zu kümmern.
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