Berichterstattung Tour de France: Radrennen als Reha-Maßnahme
Mit einem angemessen kritischen Unterton in der Berichterstattung von der Tour de France 2009 haben ARD und ZDF ihre Glaubwürdigkeit zurückerobert.
![](https://taz.de/picture/344367/14/tdf.jpg)
Vor zwei Jahren rutschte die Glaubwürdigkeit von ARD und ZDF ebenso in den Keller wie die der Radsportszene. Als sich bei der Tour de France Dopingfälle häuften, zogen die Sender, denen eine zu große Nähe zum Sport und vorsätzliches Schweigen über kriminelle Energien vorgeworfen wurde, die Notbremse und brachen die Übertragung des weltweit prominentesten Radrennens ab. Da hatten ARD und ZDF aber schon für die folgenden Jahre Verträge mit dem Tourorganisator, der ASO, geschlossen. So sahen sie sich gezwungen, die verseuchte Sportart weiter zu zeigen - bis heute.
Als sie im vergangenen Jahr wieder Liveberichte von der Tour ins Programm nahmen, sprach ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender davon, wie schmerzhaft es gewesen sei auszusteigen, weil die Senderechte doch so viel Geld gekostet hätten. In seiner Lieblingsrolle als Mann mit Rückgrat sagte er aber auch: "Der höhere Wert zieht - und das ist die Glaubwürdigkeit." Die gestern beendete Tour de France 2009 hat bewiesen: ARD und ZDF haben sich diese zurückerobert.
Von den berüchtigten Journalisten, die bloß Fans sind, die es hinter die Absperrung geschafft haben, war nicht mehr viel zu sehen. Die Sendungen beider öffentlich-rechtlicher Sender prägte vielmehr durchweg ein kritischer Unterton, der nicht penetrant wirkte, sondern schlicht angemessen. Immerhin tourte Lance Armstrong als neuer Saubermann mit - und äußerte sich ebenso konsequent nicht zu Doping wie der diesjährige Tour-Frontmann Alberto Contador.
Während die Strukturen beim ZDF schon länger dafür sorgten, dass die Tour nicht mehr grenzenlos bejubelt wurde, zeigte sich nun auch die ARD rehabilitiert. Das ist wohl der größte Erfolg in dem langjährigen Prozess des Umdenkens in den Sendern: Beiträge, in denen etwa die noch immer zu laxe Praxis des Radsportverbandes UCI in der Ahndung von Doping skizziert wurden, kamen diesmal nicht nur von der in Köln angesiedelten ARD-Dopingredaktion, sondern vom Toursender selbst, dem Saarländischen Rundfunk.
Diesen Wandel haben sie auch in Köln festgestellt. Dort sehen sie mit Genugtuung, wie sehr sich der SR müht, eine Distanz zu der für den Sender wichtigsten Sportart zu halten. So konnte ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt die Tour wie geplant nach der ersten Woche verlassen - um gegen Ende für ein Fachgespräch wieder einzufliegen.
Alte Probleme
Blöd für ARD und ZDF: Zwar nehmen sie die kriminellen Energien im Radsport und dem daraus gewachsenen Drogenmissbrauch ernst, die Sportart selbst gab sich indes auch bei der jüngsten Tour widerwillig: ARD und ZDF zeigten in eindringlichen Beiträgen wie dem von Daniel Pontzen im "heute journal" und von Hermann Valkyser in der ZDF-Tour-Sendung, wie lax die ASO und der Weltradsportverband UCI die Sache mit den Dopingkontrollen noch immer handhaben.
Der größte journalistische Beitrag der ARD versteckte sich wiederum bei "Monitor". Dort zeigte das Rechercheduo Florian Bauer und Jochen Leufgens, wie einfach neueste Dopingpräparate noch immer zu haben sind: kinderleicht und bezahlbar, sogar für Amateure. Und von den Kontrolleuren bisher nicht zu entdecken. Genau das ist der richtige Ansatz: Dem Sport nicht nur in den Livestrecken an den Kragen zu gehen, sondern breit gefächert im gesamten Programm. Nach diesem Prinzip arbeitete auch das ZDF: "Frontal21" zeigte ebenfalls in einer seiner jüngsten Sendungen, wie nachlässig Verbände mit den Kontrollen umgehen.
All das zeigt, wie verfehlt die Kritik des Sportministers Wolfgang Schäuble (CDU) an den Tourberichten von ARD und ZDF war. Schäuble hatte während der Tour 2009 gesagt, es sei "unglaublich", dass ARD und ZDF immer noch "stundenlang" die Tour übertragen. Zum einen haben ARD und ZDF ihr Tour-Engagement auf das vertragliche Minimum reduziert, zum anderen haben die vergangenen drei Wochen gezeigt, wie ernst es beiden Sender inzwischen ist, einer Sportart nicht einfach eine gebührenfinanzierte Spielfläche zu bieten, sondern sie trotz der vertraglichen Abhängigkeit kritisch unter die Lupe zu nehmen.
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