Bericht des Verfassungsschutzes: Mehr Neonazis in Deutschland
In Deutschland gibt es nach Einschätzung des Verfassungsschutzes 4400 Rechtsextremisten - 200 mehr als im Vorjahr. Die größte Gefahr sieht der Innenminister jedoch in einer anderen Extremisten-Gruppe.
BERLIN dpa/rtr 4400 Menschen gelten nach Einschätzung des Verfassungsschutzes in Deutschland als Neonazis, 200 mehr als 2006. Das geht aus dem am Donnerstag vorgestellten Verfassungsschutzbericht hervor. Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist 2007 gegenüber dem Vorjahr leicht auf 28 538 gefallen. Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ging leicht auf 980 zurück, die der linksextremen Gewaltdelikte auf 833. Als "neue Qualität" wertete Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Aktivitäten rechtsextremer Autonomer in schwarzen Blocks wie bei einer Demonstration zum 1. Mai in Hamburg.
Islamistische Terroristen sind nach Ansicht von Schäuble jedoch die größte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands. Bisher sei es glücklicherweise nicht zu Anschlägen gekommen, sagte Schäuble bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2007 am Donnerstag in Berlin. Das liege an der guten Arbeit der deutschen Sicherheitsdienste, die geplante Anschläge vereitelt hätten. Es habe auch eine gute Kooperation mit Geheimdiensten anderer Staaten gegeben.
Als Gründe dafür, dass Deutschland nach wie vor im Fokus islamistischer Terroristen sei, nennt der Verfassungsschutzbericht das wachsende Engagement der Bundeswehr in Afghanistan und das Erstarken des Terrornetzes El Kaida. Schäuble setzte sich erneut dafür ein, dass die Nachrichtendienste mehr Kompetenzen bei der Informationsbeschaffung bekommen. Dies sei eine Grundvoraussetzung für die Verhinderung von Anschlägen
Schäuble kündigte an, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei die Linke weiter beobachten und auch deren nächsten Bundesparteitag verfolgen wird. Die Gründe dafür seien, dass die Linke nach ihrer Programmatik die herrschende Staats- und Gesellschaftsform überwinden wolle. Es gebe offene extremistische Gruppierungen in der Partei. Unter diesem Blickwinkel werde auch der Bundesparteitag Ende Mai in Cottbus "zur Kenntnis" genommen, sagte Schäuble. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, verwies darauf, dass sein Amt für diese Beobachtung nur sehr wenig Personal habe "und brauche".
Die Linkspartei protestierte gegen ihre erneute Nennung im Verfassungsschutzbericht. Ihr Geschäftsführer Dietmar Bartsch warf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der CDU vor, mit dem Bericht bewusst Stimmung gegen seine Partei zu machen. "Die CDU ist offensichtlich nicht in der Lage, die politische Auseinandersetzung mit uns zu führen, sondern missbraucht hier die Behörde", kritisierte Bartsch am Donnerstag. Dass die Linkspartei in dem Bericht genannt werde, sei eine Unverschämtheit. Schäuble und der Verfassungsschutz müssten dies dringend ändern.
Die deutsche Wirtschaft wird nach Angaben von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm zunehmend ausspioniert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz werde seine "Bemühungen im Bereich des Wirtschaftsschutzes" verstärken, sagte Fromm am Donnerstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2007 in Berlin. Es gebe zunehmend ein Interesse anderer Staaten, Informationen aus der deutschen Wirtschaft auf illegale Weise zu beschaffen. Ferner wehre das Amt Spionage-Aktivitäten im Bereich der sogenannten Proliferation ab: Es müsse verhindert werden, dass Material das Land verlasse, das zur Herstellung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen dienen könnte.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit Sitz in Köln ist die zentrale Behörde der Bundesrepublik zur Abwehr von Extremisten und Spionen. Der Verfassungsschutz ist neben dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr der dritte deutsche Geheimdienst. Er hat rund 2500 Mitarbeiter und erhielt 2007 einen Bundeszuschuss von etwa 145 Millionen Euro. Seit 2000 ist Heinz Fromm der Präsident des BfV. Der Verfassungsschutzbericht informiert jährlich über die innere Sicherheit in Deutschland.
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