Bergsteigen in Bremen: Mein Berghund

■ Folge 6: Warum ARAL für Bergsteiger wegen Reifenaufpumpdingsda weniger peinlich ist als andere Mineralölkonzerne

Sie erinnern sich: Frau Giesela Kraft aus der Dresdener Filiale des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter erzählte mir vom unzeitigen Ableben ihrer drei Kollegen und verkaufte mir nebenbei einen Eagle Creek Endless JourneyTM-Rucksack aus Cordura PlusTM, ein 60 Meter langes und 10,5 Millimeter starkes Edelweiß EldoradoTM-Kletterseil, einen mit Magnesium gefüllten Hüftsack, Fangkarabiner, Seilrollen, Fastbügel, Steigklemmen, Steigeisen und Klettersteigbremsen, einen Kletterhelm, Bergstock, Pickel, Brille, eine Flasche Tschamba-FiiTM-Sonnenmilch mit Schutzfaktor 20, ein Sauerstoffgerät, Rettungsdecke, Zeckenzange, Blasenpflaster, Kastennetze, eine Dose Okaysi InsektenkillerTM mit Permethrin, Kühlbox, Taschenmesser mit eingebautem Laser, Wildnisbeil, Thermosocken, Faltstuhl, Falttisch, ein FeathercraftTM-K2-Faltboot samt Stechpaddel und, und, und. Und einen Eagle Creek Dog PackTM-Hunderucksack aus Cordura PlusTM. Denn Frau Giesela KraftTM sagte mir, daß jedes Familienmitglied seine Sachen selber tragen solle, auch der Hund.

Das leuchtete mir ein. Auch glaubte ich, in einigen Filmen gesehen zu haben, daß erfahrene Bergsteiger immer Hunde dabeihaben. In diesen Filmen tragen die Hunde stets Alkohol um den Hals und sehen aus wie ein aufgepumpter Lassie. Außerdem buddeln sie die Bergsteiger aus dem Schnee, wenn sie den Abgang einer Lawine mal nicht rechtzeitig prophezeihen konnten.

Ich kehrte nach Bremen zurück, suchte das Tierheim neben der Müllverbrennungsanlage auf (ob da ein Zusammenhang ...?) und erkundigte mich nach Lassies. Dort wurde mir mitgeteilt, daß ein Lassie ein „Kolli“ sei. Ich weiß nicht, was ein „Kolli“ ist, aber von mir aus, dann ist ein Lassie eben ein „Kolli“! Ganz egal, wie man die Biester nennt, Hauptsache, sie kommen angelaufen, wenn man ruft. Aber bitteschön! Ich wollte dem freundlichen Kerkermeister nicht widersprechen. Von mir aus hätte er mir erzählen können, daß ein Lassie eine Fixierungsschraube für Pickelschlaufen ist, ich hätte gelächelt und genickt. Bestimmt ist sein Job anstrengend. Was mich angeht, ich würde meinen Lassie „Lassie“ nennen. Hätte ich einen Schäferhund, würde ich ihn „Schäferhund“ nennen. Ich weiß nicht, das finde ich irgendwie gut. Da kommt bestimmt so schnell keiner drauf. Aber stellen sie sich doch mal vor, ihren Hund „Fixierungsschraube für Pickelschlaufen“ zu rufen. Das ist noch um einiges lächerlicher als „Kolli“.

Ich sah mir die Hunde an. Die meisten schienen mir zu schwächlich, eine Zweiliterflasche Sangria um den Hals zu tragen. Der Lassie jedoch, den man mir präsentierte, hatte die kräftige Statur eines echten Berghundes. Ich wollte ihn haben. Das Problem bestand darin, daß Timmy vor dem Käfig stand und beständig „Lassie, Lassie“ rief. Ich bedachte den Kerkermeister mit einem süffisanten Grinsen, denn selbst ein achtjähriges Kind schien die korrekte Bezeichnung dieser Hunderasse zu kennen. Er ignorierte es. Ich sagte: „Den nehme ich.“ „Na hören sie mal“, empörten sich die Eltern des Jungen, „wir waren zuerst da!“ Ich gab ihnen fünfzig Mark, und die Sache war erledigt. Sie steckten das Geld ein, klemmten das Kind unter den Arm und verschwanden. Ich frage mich, ob sie sowas hauptberuflich machen.

„Du Lassie“, sagte ich zu dem Hund, als wir vor dem Tierheim standen. Lassie nickte und wedelte mit dem Schwanz. Unzählige Kinder hatten ihn in seinem Leben „Lassie“ gerufen, so daß er mittlerweile selbst glaubte, dies sei sein Name. Auch als ich Lassie von meinen Plänen erzählte, ihn aufzupumpen, widersprach er nicht. Wir gingen zu einer Tankstelle. Zu einer SHELL-Tankstelle. Die Erwähnung des Mineralölkonzerns erscheint mir deshalb sinnvoll, weil z.B. ARAL, wie immer wieder in der Fernsehwerbung vermittelt wird, die Selbstbedienung abgeschafft hat. Man kann also einfach mit seinem Hund bei ARAL aufkreuzen und sagen: „Einmal aufpumpen, bitte.“ Anders bei SHELL: Hier mußte nicht ein Servicemensch, sondern ich höchstselbst schiefe Blicke ernten, als ich mit dem Reifenaufpumpdingsda in der Hand das Ventil an meinem Köter suchte. Wenigstens erfuhr ich bei dieser Gelegenheit, daß Lassie ein Mädchen ist. Das Thema bei Hans Meiser heute morgen war: „Meine Mutter ist zu sexy“.

Tim Ingold