: Bergab mit den Lanzenspringern
TENERIFFA Eine Wanderung durch die Masca-Schlucht. Den akrobatischen Sprung wagt nur einer
■ Kanaren: Teneriffa ist die größte der sieben Kanarischen Inseln und hat 800.000 Einwohner. Informationen zu Teneriffa gibt es unter www.webtenerife.de■ Tour: Die beschriebene Route und Wandertouren um und auf den Teide, den mit 3.718 Metern höchsten Berg Spaniens, werden von der Firma Patea Tus Montes angeboten. Einige der Führer sind deutschsprachig, die Lanzenspringer müssen extra unter Vertrag genommen werden. Mehr unter www.pateatusmontes.com ■ Klima: Die Kanaren sind dank der milden Temperaturen ganzjährig Reiseziel. Als beste Jahreszeit für Wanderungen gelten jedoch die Frühjahrs- und Herbstmonate.
VON UTE MÜLLER
Binden Sie sich die Schnürsenkel gut zu, der Weg in die Schlucht ist steil und sehr anstrengend, aber es lohnt sich.“ Während wir seine Anweisungen befolgen, schmiert José María Pérez seine hölzerne Lanze mit Ziegenfett ein. „Damit ich keine Blasen an den Händen bekomme“, erklärt er und zeigt uns sein Arbeitsgerät. Die Lanze mit Metallkopf ist imposante 3,5 Meter lang. Ursprünglich wurden diese Lanzen von den Hirten auf den Kanaren verwendet, um auf dem schwer begehbaren felsigen Gelände schneller bergab zu gelangen. Die Tradition des Hirtensprungs (salto del pastor) wurde von den Wanderführern wiederbelebt, einmal jährlich findet sogar ein Wettkampf statt. Inzwischen gibt es 150 Lanzenspringer auf den Inseln, die mit ihren akrobatischen Sprüngen die Schwerkraft überlisten.
José María gibt gleich ein Beispiel. Er steigt auf einen Felsen, prüft mit seiner Lanze das Terrain unter sich und sticht sie ein. „Vamos!“, brüllt er, springt ab, gleitet mit angezogenen Beinen nach unten und landet ohne Probleme. Jeder versucht, den Sprung mit der Kamera festzuhalten. „Kein Problem, ich mache das heute noch hundertmal“, tröstet der Bergführer diejenigen, die trotz Digitaltechnik den Moment verpasst haben.
Der Einstieg in die Masca-Schlucht beginnt am Ende des gleichnamigen Ortes, im Nordwesten Teneriffas, im Teno-Gebirge. Gerade mal einhundert Menschen leben in dem Dörfchen, das an einem Vulkankrater liegt und früher nur über eine Sandpiste erreichbar war. Heute ist Masca über ein steil abfallendes, kurviges Bergsträßchen mit dem Rest der Welt verbunden. Im Sommer wird der Ort tagtäglich von Hunderten von Bussen angesteuert. Von seinem Charme hat Masca dennoch nichts eingebüßt, denn die meisten Touristen knipsen nur ein paar Fotos auf Mascas schmuckem Kirchplatz mit seinem indischen Lorbeerbaum, besuchen eines der Restaurants auf den Felsterrassen und genießen den Blick in die Gebirgskulisse, bevor sie in ihre Strandhotels zurückkehren.
Bereits Mitte der 70er-Jahre wurde ein amerikanisches Ehepaar auf Masca aufmerksam und bot Eselsafaris durch die Schlucht bis zum 600 Meter tiefer gelegenen Strand an. Ab dann dauerte es nicht mehr lange, bis auch die ersten Wandergruppen aus Nordeuropa das Teno-Gebirge mit seinen kuriosen Felsformationen und seiner exotischer Pflanzenwelt für sich entdeckten. Dass 4 Kilometer über Steine und Geröll bergab zu laufen viel anstrengender ist als bergauf, merken wir schnell. Hier sind die Bauch- und Beinmuskulatur gefragt, wer nicht regelmäßig Sport treibt, leidet jetzt. Die Bergziegen, die hier leben, sind eindeutig besser dran.
Im letzten Drittel des Weges wird die Schlucht immer enger, 400 Meter hoch ragen die schwarzen zerklüfteten Felswände nach oben, fast schon bedrohlich wirken sie. „Der enge Teil der Schlucht wäre eine herrliche Filmkulisse für den ‚Herrn der Ringe‘ gewesen“, sagt José María, der keine Gelegenheit auslässt, seine fabelhafte Lanze einzusetzen, während der Rest der Truppe mühsam felsauf und felsab kraxelt. Erst am Ende der vierstündigen Tour durch die windige Schlucht kann man das Meer und die gegenüberliegende Insel Gomera sehen.
Früher war man gezwungen, den langen Weg wieder zurückzuwandern. Doch die meisten Touristen entscheiden sich mittlerweile für eine Bootstour zum Wal- und Delfinbeobachten, die hier seit einigen Jahren angeboten wird. „Gerade in dieser Meerenge leben erstaunlich viele Meeressäuger“ erklärt Pedro Martín, Kapitän auf dem Katamaran „Nashira Uno“, der die Gruppe in Empfang nimmt. 27 Wal- und Delfinarten tummeln sich hier. Am häufigsten sind die Grindwale, rund 400 Exemplare finden hier eine Zuflucht, denn hier sind die Gewässer relativ ruhig und reich an Nahrung. Sehr häufig anzutreffen sind sie in den Morgenstunden, wenn sie zum Luftholen plötzlich ihren rundlichen Kopf aus dem Wasser herausstrecken. Nachmittags übernehmen die munteren Delfine das Regiment und umkreisen dabei die Fischzuchtanlagen auf dem Weg zur Feriensiedlung Los Gigantes an Teneriffas Südküste. Pedros Vater war es, der vor 25 Jahren erstmals einen Shuttle-Dienst von Masca nach Gigantes anbot. Heute verfügt seine Firma Maritima Acantilados zudem über ein Sportfischerei- und Hochseeboot. „Die Deutschen waren unsere ersten Kunden, eigentlich haben sie uns erst auf die Idee gebracht“, sagt er und lacht. Heute ist Los Gigantes mit seinen schwarzen Sandstränden allerdings ein Ferienort für sonnenhungrige Briten, doch nur wenige verirren sich in die Masca-Schlucht. „Das Wandern“, erklärt denn auch eine Anwohnerin im Badeanzug, „ist wohl eine deutsche Angelegenheit.“