: Bereitschaft zum Genozid
■ betr.: "Fatale Alternativen" von Christian Semler, "Für einen Wirtschaftsboykott Iraks" von Bernd Ulrich, "Sich heraushaltn geht nicht von Udo Knapp, taz vom 11.8.90
betr.: „Fatale Alternativen“ (Weltpolizei, Weltboykott oder was sonst?) von Christian Semler, „Für einen Wirtschaftsboykott Iraks“ (Deutschland als zivile Weltmacht am Golf: Besser Embargo als Militärintervention) von Bernd Ulrich, „Sich heraushalten geht nicht“ (Über die Weltfriedensverantwortung Deutschlands angesichts der Nahostkrise) von Udo Knapp, taz vom 11.8.90
Die Autoren dieser Artikel haben sich auf die große Politik und deren Sprache eingelassen. Das ist in diesem Zusammenhang das einzige, was sie verantworten können und zu verantworten haben. Denn die Griffe und „Optionen“, mit denen sie operieren, sind nicht nur großspurig und größenwahnsinnig, sie sind auch menschenverachtend und bedeuten die Bereitschaft zum Genozid.
Die „Golfkrise“ scheint ein weiterer Katalysator des Globalisierungswahnes zu sein („Bevölkerungsökologie“). Hier trägt er die Namen „Weltfrieden“, „Weltpolizei“, „zivile Weltmacht“, „Weltfriedensverantwortung“, „künftige friedliche Weltgesellschaft“ und so weiter; „Welt“, „Frieden“ und „Verantwortung“ in verschiedenen Zusammensetzungen.
Alle diese Namen enthalten die Bereitschaft zum Krieg. Dem wird auch in den Artikeln nicht widersprochen. Im Gegenteil. Sie lesen sich wie die „sachlichen“ Erwägungen besonnen kalkulierender Strategen, die dem neuen Kriegstreiber nun „verantwortlich“ begegnen wollen.
(...) Krieg bleibt Krieg - wie auch immer er umgelogen werden soll.
(...) „Ein Grund dafür, daß offenkundig tödliche Utopien mehrheitsfähig werden können, liegt... im Auseinanderfallen von Wirklichkeit und Sprache.“ (Erhard Eppler)
Die Begriffe, mit denen hier Politik gemacht wird - oder einfach geschieht? - geistern über unseren Köpfen in einer Entfernung und Unfaßbarkeit umher, die ungefähr der zu den Satelliten entspricht, deren Bilder und Daten von „unserer Erde“ beständig unseren Wirklichkeitssinn überschwemmen und lähmen; ihn „globalisieren“, das heißt auflösen. Je abstrakter hier ein Begriff ist, um so „selbständiger“ ist er und um so mehr Menschen können mit ihm statistisch, ökonomisch, militärisch, aber auch „ökologisch“ erfaßt, stabilisiert und getroffen werden.
„Welt“ ist dabei die neue große Verwaltungseinheit; ist nicht die Welt einer Fülle verschiedener Welten, sondern die Öde des Weltmarktes, der Weltbank und der Weltkriege; der 1., 2.... 5.,... Welt; ein monströses System, das Kulturen in „Regionen“ verwandelt und alles und jeden miteinander „vernetzt“ und ineinander integriert. Das, worin jeder mittlerweile als zuviel gilt; woraus keiner mehr entkommt. Ein Sachzwang. Die Welt als „Falle“ (M.Kundera)
„Verantwortung“ wird, losgelöst vom einzelnen, zu einem anderen Wort für Macht. (...) Mitterrand war, glaube ich, der erste, der offen mit „Verantwortung“ gedroht hat („Wenn sich dies (die 'innerarabische Lösung‘) als unmöglich erweise, werde Frankreich seine eigenen Verantwortungen übernehmen“). (...) Verantwortung wird als Partner der Macht eine Form dieser Macht; Macht wird verantwortlich, heißt nur, Verantwortung wird mächtig.
Und der Frieden?
Große Politik ist schon durch ihre Abstraktion, die Menschen nur noch als gesichtslose Größe im statistischen Material und als Fläche einer integrierten Gleichung „kennt“, mörderisch. Wer sich auf sie einläßt, unterwirft sich ihrer in jedem Fall tödlichen Logik. Dies ist weder „Anti-Politik“, noch ist es die Beschwörung der Provinz. Die „Rückkehr zum menschlichen Maß“ beginnt gerade auch in der Wahrnehmung.
„Verantwortlich“ sind wir als „Weltmacht“ also für gar nichts; wo einem so aufgedunsenen, groben, gewalttätigen „Wir“ Verantwortung zugeschrieben wird, geschieht dies fast immer zur Durchführung von Verbrechen. (...) Verantwortlich bist du und bin ich; nicht am Persischen Golf, sondern hier; und nicht nur in dem, was wir tun, sondern auch darin, wie genau wir sehen und was genau wir sagen. (...)
Dirk von Boetticher, Heidelberg (BRD
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