Beraterkreis aus klugen Köpfen: "Emotion. Bewegung. Change!"
Was haben die Promis, die der Stadt ein neues Image verpassen sollen, mit Wowereit besprochen? Ein geheimes Gesprächsprotokoll belegt jetzt: Schirrmacher, Döpfner und Co. sprühen vor Ideen.
Zwölf hochrangige Persönlichkeiten sitzen im Roten Rathaus um einen Tisch. Darauf liegen Buntstifte und viel Papier. Es gibt Orangensaft und Mineralwasser, Kekse und Fruchtspieße. In der Ecke verstaubt ein Gummibaum.
Klaus Wowereit ist es ernst mit Berlin. "Das Gremium ist nicht dafür da, den Regierenden zu umrahmen und sich alle Vierteljahre zu treffen, sondern es soll ziemlich hart gearbeitet werden", sagte er am Mittwoch nach dem ersten Treffen des Beraterkreises. Das Berlin-Board soll helfen, "die Marke Berlin besser zu positionieren", so Wowereit. Ihm gehören - neben den Diskutanten des Protokolls - auch andere Promis wie der Architekt Hans Kollhoff, Bayer-Vorstandschef Werner Wenning oder MTV-Chefin Catherine Mühlemann an. Das Board soll die Hauptstadt mit Ideen und Kontakten unterstützen.
Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister: Ja, äh, welcome, liebe Board-Mitglieder. Sie wissen: Wir brauchen ein neues Image für Berlin. Emotion. Bewegung. Change. All das (es klopft) Muss das jetzt sein? Wer sind Sie denn?
Prof. Dr. Thomas Tuschl, Genforscher (steckt den Kopf zur Tür rein): Aber Herr Wowereit, ich bin eine Koryphäe.
Wowereit: Ach ja, stimmt. Also. City of Change. Gibt es andere Vorschläge? Ich muss den Pressefuzzis draußen was liefern.
Tuschl (setzt sich und sinniert): Berlin ist im Wandel.
Ingeborg Junge-Reyer, Bausenatorin (räuspert sich): Apropos Wandel. Ich darf an dieser Stelle mit Entschiedenheit darauf hinweisen, dass wir das Bauvereinfachungsgesetz mit der Neufassung der Bauordnung für Berlin derart umgesetzt haben, dass der Wandel des Stadtbilds mit der Traufhöhe
Wowereit (barsch): Ist gut jetzt, Ingeborg. Das hier ist keine Senatssitzung.
Dr. Mathias Döpfner, Chef des Springer-Verlags (raunt): Ewig zwischen Gut und Böse, zwischen Ost und West, zwischen Baustelle und Vollendung. Das ist Berlins Schicksal. Und der Deutschen Schicksal. Ja, ich möchte fast sagen, Berlin ist so etwas wie eine deutsche Schicksalsfrage (schaut gedankenverloren aus dem Fenster in den grauen Berliner Himmel)
Tuschl (vorsichtig): Wie wärs mit "Berlin ist schick"? Da ist Schicksal doch auch irgendwie drin.
Dr. Frank Schirrmacher, FAZ-Herausgeber (ruckelt unruhig auf seinem Stuhl hin und her): Quatsch mit Soße, Schicksal. Das ist ja wohl eine Minimum-Idee. Berlin Berlin das ist das ist die Festschreibung des Unfertigen, eine antithetische Verbindung, deren Reiz ihre fortwährende Kindlichkeit ist - Berlin ist die Keimzelle, die der Überalterung der Deutschen Einhalt gebieten wird. Der Prenzlauer Berg als neues Gesellschaftsmodell hm, müsste man eigentlich mal was drüber schreiben
Tuschl: Aber meine Herren, meine Damen, sollten wir nicht lieber zur Sache diskutieren?
Schirrmacher: Berlin gibt anderen Regionen eine Mitte, ein Ziel!
Wowereit: Berlin - the middle of everywhere. Nicht schlecht. Passt zu mir. Und Berlin bin ich, das weiß ja jeder. Ingeborg, schreib das mal auf. Mathias, meinst du, ihr könnt das in euren Zeitungen morgen richtig groß verwursten? Geht schließlich um Berlin. Mathias?
Döpfner (schreckt auf): Unser Schicksal! Wenn aus Berlin nichts wird, wird aus Deutschland nichts.
Junge-Reyer: Schicksal ist eine Begrifflichkeit, die wir so bei der Formulierung unserer stadtentwicklungspolitischen Leitlinien wegen fehlender Zweckdienlichkeit formal nicht berücksichtigt haben. Ich bin deshalb der dezidierten Auffassung, die Aufnahme ins offizielle Sitzungsprotokoll nicht durchzuführen.
Wowereit (schüttelt ungeduldig den Kopf): Mensch, Ingeborg, lass doch mal. Es muss kurz sein. Knackig. Selbstbewusst. Der Berliner ist manchmal nicht selbstbewusst genug.
Schirrmacher: Na, das Problem haben wir nicht, was?
(Alle lachen)
Wowereit: Müssen wir auch nicht. Wir sind schließlich die klügsten Köpfe Deutschlands. So, das werde ich denen draußen jetzt mal verklickern.
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