Berater Brzezinski über Merkels US-Reise: "Sie ist die Stimme der Vernunft"
Der außenpolitische Berater Zbigniew Brzezinski hält viel von Bundeskanzlerin Merkel. Brzezinski über die Kanzlerin, Afghanistan und seinen exklusivsten Klienten: US-Präsident Barack Obama.
taz: Herr Brzezinski, Bundeskankanzlerin Merkel durfte bei ihrem Besuch in Washington vor beiden Kammern des US-Kongresses sprechen. Eine große Ehre. Präsident Obama nahm sich eine Stunde Zeit für sie. Ist dieser Besuch eine Chance, das eingeschlafene deutsch-amerikanische Verhältnis wiederzubeleben?
Zbigniew Kazimierz Brzezinski: Es ist eine Chance, nicht nur um das deutsch-amerikanische, sondern das europäisch-amerikanische Verhältnis wiederzubeleben. Kanzlerin Merkel wird in Amerika enorm respektiert, sowohl als deutsche Regierungschefin mit einem weiten strategischen Blickwinkel als auch als eine Politikerin, die in dieser Perspektive erkennt, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen ein entscheidender Bestandteil der transatlantischen Partnerschaft ist. Die Kanzlerin ist meine persönliche Favoritin als EU-Präsidentin. Aber das beiseitegelassen: Amerika sieht sie als Stimme der Vernunft, des Ausgleichs und der Stabilität.
Erhebt sie diese Stimme denn laut und klar genug?
Der Tatbestand, dass man ihr als deutscher und europäischer Politikerin so viel Respekt zollt, ist ein Beleg dafür, dass ihre Stimme gehört wird. Kanzlerin Merkel wird hier als verlässliche Partnerin gesehen.
Als die USA vor 20 Jahren dazu beitrugen, dass die Mauer fiel, wünschten Sie sich ein stärkeres Deutschland als verlässlichen Partner in Europa. Wird das wiedervereinigte Deutschland inzwischen seiner Rolle auf der Weltbühne gerecht?
Auf jeden Fall, wenn man bedenkt, wie erfolgreich Deutschland seine Versöhnung mit Frankreich betrieben hat. Und jetzt die Versöhnung mit Polen. Ich habe mit großer Freude beobachtet, dass der neue Außenminister Westerwelle seine erste Auslandsreise nach Polen gemacht hat. Das ist, denke ich, die Bestätigung dafür, dass Deutschland der Motor für ein konstruktives Europa ist, das gerade seine eigene Rolle definiert.
Aber denken Sie nicht auch wie viele Amerikaner, dass Deutschland dafür etwas mehr Mut guttäte, um aus der Deckung zu kommen? Etwa mit Blick auf die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan.
Ich denke, es ist wichtig, dass die Deutschen verstehen, dass das Problem in Afghanistan nicht nur ein amerikanisches ist. Es ist auch ein europäisches Problem. Die Europäer sind dort, weil sie kurz nach dem 11. September 2001 Artikel 5 der Nato aktiviert haben. Aber acht Jahre später sehen sie sich damit konfrontiert, dass dies eine schwierige Aufgabe ist. Eine Aufgabe, die nur dann effektiv gelöst werde kann, wenn der Westen geschlossen zusammenhält. Das kann er nur tun, wenn er sich gegenseitig berät. Deshalb ist es sehr wichtig, viel Anstrengung in die nächste von Deutschland, Großbritannien und Frankreich geplante Afghanistan-Konferenz zu legen. Sie sollte ein vereintes und hoffentlich konstruktives Engagement in Afghanistan festigen - mehr als das, das in den letzten acht Jahren formuliert wurde - besonders von der hiesigen Regierung.
Was sollte Ihrer Meinung nach Präsident Obama Bundeskanzlerin Angela Merkel denn sagen, wenn die beiden über Afghanistan sprechen?
Er sollte ihr ehrlich sagen, in welchem Dilemma er steckt und welche Entscheidungen er treffen muss, denn das sind nicht nur Entscheidungen für uns, sondern Entscheidungen für Europa.
Obamas Dilemma hat sich nach der abgesagten Stichwahl in Afghanistan vergrößert. Er kann nicht mehr darauf hoffen, dort mit einem rechtmäßig gewählten Regierungspartner zusammenzuarbeiten, und muss den Amerikanern in Kürze seine neue Strategie verkaufen. Wozu raten Sie ihm denn?
Wenn ich ihm einen Rat geben würde, würde ich den hier nicht erzählen.
Sie haben in der Vergangenheit öfter davor gewarnt, dass die USA sich in Afghanistan und in Pakistan verzetteln könnten - weil sie dort nach Ergebnissen streben, die sie nicht erreichen können. Könnte die Entsendung von noch mehr Truppen denn das ändern?
Die Entscheidung der Truppenstärke muss in Verbindung mit der Frage gefällt werden, was diese Truppen eigentlich erreichen sollen. Wenn die Ziele in einer politisch realistischen Art und Weise abgesteckt werden, kann man meiner Ansicht nach auch mehr Truppen befürworten. Aber es allein zu tun und damit nur zu erreichen, dass wir einen amerikanisch-europäischen Krieg in Afghanistan haben, ist nicht der richtige Weg.
Welche Ziele sind denn realistisch?
Dazu möchte ich mich hier nicht äußern.
Einige Kritiker sagen: Afghanistan wird Obamas Vietnam.
Das glaube ich nicht. Wissen Sie, auch ein Meteor könnte Amerika treffen. Ich glaube in diesem Zusammenhang, dass, wenn jemand die Möglichkeit zu Entscheidungen hat, er auch fähig ist, einige der extremsten negativen Konsequenzen zu vermeiden.
Sie haben vor einem Jahr Senator Obama bei seinem Wahlkampf unterstützt. Was sagen Sie zum ersten Jahrestag des Wahlsiegs von Präsident Barack Obama?
Seine ersten Schritte haben mich sehr ermutigt. Aber ich sorge mich über die Tatsache, dass seine innenpolitischen Probleme derzeit verhindern, dass er diese Schritte auch zu Ende bringen kann. Ich denke, das wird er in naher Zukunft schaffen.
Sie sprechen von der umstrittenen Gesundheitsreform.
Ich denke, die Gesundheitsreform ist für ihn bisher die größte politische Herausforderung, die größte technische Herausforderung mit Blick auf die Zeit.
Was ist bislang die größte Leistung von Präsident Obama?
Die Neudefinition von Amerikas Beziehung zu sich selbst. Die Neudefinition von Amerikas Beziehung mit der Welt. Das ist schon eine bedeutende Leistung!
Was würden Sie ihm raten, im nächsten Jahr seiner Regierungszeit besser zu machen?
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