: Benny Beimer geht
■ Doch ist er in der Lindenstraße nicht längst überflüssig wie ein Loch im Kopf?
In der Lindenstraße ist immer etwas los. Manch ein treuer Fernsehzuschauer steht sogar auf dem Standpunkt, es passiere mittlerweile viel zuviel. Ursprünglich dümpelten die Ereignisse monatelang vor sich hin, bis sie eine Klimax erreichten und der Zuschauer erleichtert aufatmen konnte. Genau das haben wir schließlich geliebt: Die Lindenstraße war noch viel langsamer als das wirkliche Leben. Zur Zeit bietet unsere beliebteste Vorabendserie jedoch reinstes Action-Kino. Und mit ihrer Besetzung wird inzwischen geradezu fahrlässig umgesprungen. Gerade erst haben wir uns von dem Schock erholt, den Urzulas Rückkehr nach Polen in uns ausgelöst hatte, so müssen wir jetzt erfahren, daß Benny Beimer, einer der Darsteller der ersten Stunde, im Juli die Crew verlassen wird.
Benny will seinen Lindenstraßen-Vertrag nicht um weitere zwei Jahre verlängern, sondern etwas Sinnvolleres tun, wie beispielsweise Theaterwissenschaften studieren, heißt es. Genau das hat er auch in seiner Rolle als Serienheld vor. Er wird München verlassen, um nur noch sporadisch hin und wieder aufzutauchen. Eines Tages wird er gänzlich verschwinden oder im Meer der arbeitslosen Akademiker ersaufen. Aber woher kommt denn auf einmal dieser zimperliche Umgang mit Benny? Kann man ihn nicht einfach sterben lassen, wie all die anderen Aussteiger vor ihm? Auf alle Fälle hätte er einen spektakuläreren Abgang verdient, auch wenn Franz Schildknechts Ende, der am Heiligen Abend jämmerlich im Hinterhof erfror, kaum zu überbieten ist.
Nimmt man dem Jungen seine plötzlichen Anwandlungen von Lerneifer überhaupt ab? Schließlich ist er damals, als er noch der Rebell mit der Flunsch war, von der Schule geflogen. Mit dem Abitur hatte er nichts am Hut, vermutlich wäre er ohnehin durchgefallen. Leider hatte Benny sich in letzter Zeit sehr verändert. Er ist nicht nur reifer, sondern vor allem auch langweiliger geworden. Schon seit langem stellt er seine Füße nicht mehr unter den Tisch seiner Glucke, sondern unter den irgendeiner WG in der Innenstadt. Eigentlich gehört er jetzt schon gar nicht mehr dazu. Seitdem das Leckermäulchen Mutter Beimer mit Erich Schiller Schillerlocken kaut und nebenbei Reisen verkauft, dürfte er ihr kaum noch fehlen. Das ökologische Problembewußtsein wird mittlerweile von dem Rentner Hubert Koch hinreichend verkörpert. Das Windrad auf dem Dach dreht sich schließlich ohne Benny genauso gut weiter. Auf ein Comeback der Liebesbeziehung mit der Blumenverkäuferin Claudia braucht man nach dem Erscheinen von Olaf Kling nicht mehr zu hoffen. Auch hier wird Benny so dringend gebraucht wie ein Loch im Kopf.
Der einzige, der ohne Benny wirklich aufgeschmissen ist, ist Bruder Klausi. Dieser entwickelte sich unaufhaltsam zu einem immer größeren Arschloch. Wer kann ihn überhaupt noch zur Vernunft bringen, wenn nicht der eigene Bruder? Die Bemühungen des Pfaffen Matthias sind zwar sehr ehrenhaft, aber sie werden ihn am Ende nur noch weiter in die Arme seiner Nazi-Freunde treiben. Sicherlich läge hier eine bedeutende Aufgabe für Benny: ein Opfertod als Asylantenbeschützer, der seinen Bruder schließlich auf den Pfad der Tugend zurückführt. Kirsten Niemann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen