Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Kitsch bis zum Mord
Es klingt erst einmal nach einem gelungenen Produktionskonzept in Zeiten des Relevanz- und Profitverlusts im Feld der Popmusik: Man lässt sich Studio und Unterhalt direkt von den Fans bezahlen. Marillion waren Vorreiter, Mitte der Neunziger ging das los, noch bevor Crowdfunding eine beliebte Option für dauerprekäre Künstlerinnen und Künstler war, um in einem Leben, das im Wesentlichen eine Aneinanderreihung von Projekten ist, Projekte punktuell zu finanzieren. Damals trennte sich die Band von ihrem Label EMI. Seitdem wird sie direkt vom Endkonsumenten finanziert. Und das läuft anscheinend rund: Konzert in der Royal Albert Hall, oben in den Charts, alles da. Die Fans ermöglichen einen nicht mehr überschaubaren Ausstoß an Platten, Live-Alben, Konzertfilmen und allerhand limitiertem Zeug, mit dem sich ein Sammler gut und gern eine Sammlerexistenz lang beschäftigen kann.
Wenn einem, wie mir, die wohltemperierte Musik Marillions eher egal ist, kann man sich ihren Reiz zumindest abstrakt erschließen. Pompöser Artrock, der die eigene Virtuosität nicht so hervorkehrt wie zum Beispiel King Crimson und nie, auch in den Anfangstagen, so spleenig war wie die frühen Genesis (wenngleich die frühen Marillion-Platten klingen wie Peter-Gabriel-Reenactments), der aber mit jedem Ton darauf insistiert, dass er als Kunst verstanden werden will. All das lässt Marillion zur idealen Band für alt gewordene Nerds werden, denen Coolness und Checkertum wurscht sind. Also alles in allem eine erst einmal harmlose Angelegenheit.
Dass aber auch eine ureigentlich angenehm weltfremde Band sich in die Reihen der unter britischen Musikern inzwischen genreübergreifend zahllos gewordenen Israelkritiker eingliedern muss, ist dann allerdings tragisch. Eines der populärsten Marillion-Stücke der letzten Jahre, das 17-minütige „Gaza“, soll aus der Perspektive eines palästinensischen Kindes erzählt sein. Sänger Steve Hogarth schluchzt („For every rocket fired the drones come back“) und haucht dann mal eben ohne Not eine Legitimation des Terrors ins Mikro: „You sow the wind, you reap the whirlwind, it is said / When people know they have no future / Can we blame them if we cannot tame them?“ Ein Rockepos wie direkt aus Pallywood, an dem sich studieren lässt, wie Weinerlichkeit und Kitsch versehentlich in Gewalt umschlagen.
Sa, 1. 12., 20.30 Uhr, Metropol-Theater
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