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Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnPop als Köder

Foto: privat

Die intuitiv naheliegendste Weise, Klarheit im politischen Lied zu suggerieren, ist, einen wütenden Text mit garstiger Musik zu kombinieren. Ein exemplarisches Beispiel: „Killing in the Name“ von Rage Against the Machine. Der Refrain fasst pubertäre Renitenz in einem griffigen Slogan zusammen und adelt sie zum politisch begründbaren Unbehagen an der Welt: „Fuck you, I won’t do what you tell me“. Nicht falsch, aber auch schon ein Vierteljahrhundert her, und inzwischen weiß ich, dass es auch was hat, wenn Text und Tonalität auseinanderlaufen (zumal es verräterisch ausschaut, wenn dazu 50 junge Männer im Gleichtakt auf und ab hüpfen).

Das bringt uns zu „A Poem Unlimited“. Mit ihrer neuen Platte sind U.S. Girls vollends beim Pop im klassischen Sinne angekommen: Glam, Disco, Blondie, Madonna, Soul, Funk, Saxofon- und Gitarrensoli, alles tanzbar und melodieselig und schön. Eine Band im engeren Sinne sind U.S. Girls nicht, hinter dem Bandnamen verbirgt sich Meghan Remy, die sich von Platte zu Platte mehr Gäste ins Studio eingeladen hat. Eine stetige Entwicklung: Was als Wohnzimmmer-Home-Recording-Projekt begann – „a project born of solitude and isolation“, schrieb Pitchfork damals –, ist zum Ensemble gewachsen.

U.S. Girls spielen am Do, 15. 11., um 20 Uhr, in der Schwankhalle

Die diesig-verhangenen Lo-Fi-Aufnahmen von einst korrespondierten noch direkt mit den Texten Remys, die zum einen feministisch gestimmt, zum anderen ohne Slogans auskommen und eher narrativ strukturiert sind. Pop als Köder: Auf „A Poem Unlimited“ gleiten einem diese Geschichten gleichsam ins Ohr. „Velvet 4 Sale“ etwa empfiehlt Frauen zum einschmeichelnden Gitarren-Flageloett die Bewaffnung: „Instill in them the fear that comes from being prey“. „A Poem Unlimited“ ist das U.S.-Girls-Album, das am schönsten klingt und am direktesten von Gewalt erzählt: „You’ve been sleeping with one eye open / because he always could come back, ya know? / And you’ve been walking these streets unguarded / Waiting for any man to explode.“ Das ist alles nicht lustig, in seiner Widersprüchlichkeit tatsächlich irritierend und schürft tiefer als die performative Wut, die im unglücklichsten Fall nur der Selbstvergewisserung, Abstrahierung und Verschiebung dient.

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