piwik no script img

Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnPunk kann alles sein

Die Bandcamp-Seite führt schon mal auf die richtige Spur: „If you like Pisse, you may also like Kackschlacht and Mülheim Asozial.“ Pisse aus ­Ho­yerswerda widerlegen die sich kritisch wähnende, eigentlich aber nur bequeme und wohlfeile These, dass das nicht mehr gehen würde: mittels Kunst auszuscheren aus dem Betrieb. Man insistiert auf dem Abjekten (Pisse eben) und verweigert jede Geste, die darauf schließen lassen könnte, man hätte ein zielgerichtetes Interesse an irgendwas, was allgemein von Interesse sein soll.

Punk kann alles sein, das kann man aus den Texten etwa von Martin Büsser lernen, falls man es, wie ich für lange Zeit, nicht selbst schon wusste. Es entscheidet sich nicht anhand der Akkordanzahl, sondern an der jeweiligen Haltung zur Welt, die eine Band erkennen lässt und kultiviert. Man muss gar nicht viel machen, man muss einfach nur das allermeiste unterlassen. Pisse ist Punk, kein Punkrock.

Unter anderem aufgrund der Unnahbarkeit dieser Band blamiert sich der Popjournalismus laufend und mit Lust vor der Konsequenz von Pisse. Die besten Interviews sind von Kollegen geschrieben worden, die das wussten. Linus Volkmann hat einen schönen Text über Pisse geschrieben, und die Lächerlichkeit des Unternehmens konsequent thematisiert, auch im Interview selbst: „Ihr macht da die Meta-Ebene selbst auf. Können wir doch halt mal drüber reden.“ Pisse: „Da muss man 2000 Jahre [unverständlich] erst mal aus den Leuten rauskriegen!“

Eingängiger beschrieben hat die Band ihren Ansatz im Interview mit dem Blog Kopfpunk. Auf die Anmerkung des Interviewers Marko Fellmann, dass die Band so etwas wie ein Kritikerliebling (u. a. nämlich von Linus Volkmann) geworden sei: „Wir haben alle sehr kleine Pimmel und können auch sonst nichts. Da fühlt man sich natürlich gut, wenn jemand so was sagt. (…) Man macht, was man macht, und man kann sich da auch nichts von kaufen, dass ein paar Wessis mit Vollbärten gut finden, was man macht. Ist ja auch deren Job“, und immer so weiter, ein schreckliches Gestammel, und natürlich ist das alles, Meta-Ebene hin, Meta-Ebene her, wahr, auch wenn es nicht stimmt.

Hinter dem Faszinosum, das diese Band für den regulär angepassten mitteleuropäischen Untertan bedeutet, verschwindet die sehr gute Musik von Pisse immer wieder etwas. Das ist schade. Alles an dieser Band ist richtig.

Di., 30. 10., 20 Uhr, Lagerhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen