Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Sax ohne Kuscheln
Im richtigen Moment immer eine gute Idee: Wenn Musik, die anfangs als radikal nichtintegrierbar erschien, beginnt kulturindustriell zurechtgeknetet zu werden, die Schraube zwei, drei Punkte weiterdrehen, und allen zwischenzeitlich Interessierten so lange auf den Nerven rumtrampeln, bis sie die Flucht ergreifen oder sich zumindest die Ohren zuhalten.
Der Impuls für die kurzlebige No-Wave-Welle Ende der 70er- Jahre war das Einsickern eigentlich überwundener Rockklischees in den Punk. Die Reaktion: jedes losgelöste Mitgehen unterbinden mittels Sperrigkeit, Noise, Gitarrenschaben, Free-Jazz-Verweisen.
No Wave war kurzlebig und auch in dieser Hinsicht erfolgreich. Nichts konnte hier klassisch werden. Blurt, die Band des Sängers, Saxofonisten und gelernten Puppenspielers Ted Milton, gibt es trotzdem seit inzwischen fast 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen.
Das Schlagzeug stumpf-repetitiv, die Stimme immer wieder losgelassen-exaltiert, und dazu Miltons Saxofon, dem alles pornotrötenhafte, ja überhaupt jede Art von Weichheit verunmöglicht ist, zugunsten einer Aneinanderreihung von Melodieandeutungen, Quieken und Quetschen. Don Cherry hat’s, erzählt Milton, gefallen. Und der hat einst immerhin mit Ornette Coleman gespielt.
Zentrum dieser befremdlichen Musik aber ist die Stimme. Ted Milton rezitiert mehr als dass er singen würde. Und im Gegensatz zu den New Yorker Bands der späten Siebziger, die Blurts Musik hörbar inspiriert haben, geht es hier nicht primär um den Sound, sondern um die Lyrics.
Anfang der 1960er-Jahre hatte Milton begonnen, auf den Beat-Poetry-Bühnen Englands aufzutreten. Vielleicht hat sich die Band deswegen so lange als komplett autonomes Gebilde erhalten können: Weil ihr eigentlicher Bezugspunkt nicht eine Konjunktur der Popgeschichte, sondern die Literatur ist.
Die wohl schönste Ted-Milton-Platte aber kennen wahrscheinlich nur ein paar Hundert Menschen weltweit. Viel höher wird die Auflage jedenfalls nicht gewesen sein, und auf Youtube ist bislang nichts zu finden. Im Titeltrack 12-inch „[o pity us]“, aufgenommen mit Andreas Gerth und Paddy Steer in Manchester und Hofstetten, rezitiert Ted Milton in sanft-sardonischem Tonfall ein Gedicht für alle Komplizierten und Enervierenden: „Oh pity us / who cannot love“.
Ted Milton und Blurt: So, 23. 9., 17 Uhr, Lila Eule
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen