Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Die Tyrannei hat ein Ende
Virtuosität zerdullert Schönheit, wenn sie ausgestellt und Selbstzweck wird. Ein Beweis: die Konzerte, die die Band Motorpsycho in den Jahren 2007 bis 2016 gespielt hat. Bis dahin bestach diese Musik durch überbordene Ideenfülle, Spaß am lebensfrohen Krach und an der Improvisation, beseelt von der Liebe zu den Ahnen, auf die sich die norwegische Band bezog und deren Musik sie weiterdachte. Also die gesamte Rock-Tradition, von Black Sabbath über Led Zeppelin und Progrock bis hin zu den erbaulicheren Vertretern dessen, was man in den 90ern Alternative Rock nannte. Motorpsycho coverten live Hüsker Du und Deep Purple, balancierten sicheren Trittes auch am Schlimmen, was die Tradition zu bieten hatte, entlang, ohne Ironie, aber mit breitem Grinsen. Ein Fest.
Dann, 2007, kam der Schlagzeuger Kenneth Kapstad: „Der komplizierte Shit ist das, was ich gelernt habe. Das Einfache hingegen ist mir oft fremd.“ Sprach’s und ging nicht mehr weg. Die beiden Gründungsmitglieder konnten das drohende Unheil offenbar nicht absehen. In der Folge dominierte der Teufelstrommler die Band mit seinen Kunststücken zumindest live in einer Weise, die etwas Abschnürendes hatte. Immer möglichst vertrackt und so gekonnt wie möglich, aber nicht um der Komplexität willen, sondern wegen des Schauwerts. Auf der Bühne konnte man das schale Drama beobachten, das man aus anderen Zusammenhängen zur Genüge kennt: Ein Mann, sehr begeistert von sich und seinen angelernten Fertigkeiten, entwickelt Omnipräsenzbedürfnisse und erstickt so das Lebendige und Feinstoffliche, das ihn umgibt. Das mit den Jahren mehr und mehr überspannte Getrommel färbte auf den gesamten Bandsound ab: Wo zuvor noch eigentlich käsige Gitarrensoli unmittelbare Freude transportierten, regierte jetzt die Ambitioniertheit.
Kurz vor seinem zehnjährigen Jubiläum hatte der Spuk ein Ende. Ob heimlich das Proberaumschloss ausgewechselt oder der Seelenlose an einer Autobahnraststätte „vergessen“ wurde: egal. Hauptsache, die Pimmelei hat ein Ende. Der Neue, Tomas Järmyr, steht da, wo man stehen sollte – neben den Kollegen und nicht über ihnen. Die neue Motorpsycho-Platte klingt dann auch, als hätte die Band sich einer großen Last entledigt. Die Songs zeugen von der Erleichterung frisch geschiedener Menschen. Die Tyrannei hat ein Ende, die Musik ist wieder freigiebig, konzeptuell durchdacht und Vorwegnahme von etwas Besserem in der Kunst: „There’s a song for everyone / and a singer for every song“. Alle sollen alles bekommen.
Motorpsycho spielen am Sonntag,
22. 10.,
um 20 Uhr im Schlachthof
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