piwik no script img

Benjamin Moldenhauer Popmusik und EigensinnHilfloses Grinsen im Untergang

Schönheit, Scheiße und Gewalt des Menschengeschlechts in dem elendig langen Swans-Stück „The Knot“: Es geht los mit schwebendem Ambient, der anfangs noch ganz wohlig klingt. Dann fräsen sich so komische Wellen ins Bild und in einen rein, die Gitarren fangen an zu schmirgeln, da wird’s schon anders, als es sonst ist. Und wenn der Schlagzeuger, der mit Vornamen tatsächlich Thor heißt, nach zehn Minuten zum ersten Mal draufhaut und nicht mehr aufhört, kleben alle an der Wand und grinsen hilflos, während ihnen die Trommelfelle zerkloppt werden.

Die Swans haben sich in den 80ern den Ruf als das Lauteste erspielt. In der frühen Zeit soll die Band einen kleinen Klub mit einer voll aufgedrehten Stadion-Anlage beschallt haben – die Ein- und Ausgänge waren, so will es die Legende, mit Ketten versperrt, das Konzert endete in einer Massenpanik. Ob das wirklich so gewesen ist, es ist egal. Wahrscheinlich stimmt es nicht. In der Geschichte jedenfalls kommt zusammen, was die Band live noch immer will. „It’s like being beaten to shit, but in a good way“, sagt der Swans-Fan. Mit ins Konzert bringt er idealtypischerweise ein maskulinistisches Härteideal wie auch dessen dialektische Kehrseite: einen, freilich säuberlich-sublimierten, Masochismus. Keine Schönheit ohne Gefahr, keine Gewalt ohne Lust, behaupten die Swans, und da zu widersprechen bringt nicht viel, es würde einen eh niemand hören bei dem Lärm.

Das Kraftmeierische dieser Musik aber ist nur Oberflächenphänomen, wenn alles, was in ihr angelegt ist, sich entfaltet, geschieht Aufschlussreicheres. Immer geht es um Körper im Ausnahmezustand, alle Gefühle haben Autorität und stellen Ansprüche. Und die Swans, seit Jarboes Weggang Ende der 90er unglücklicherweise eine reine Männerband, ziehen alle Register, allerdings immer mit dem Vorsatz der Brachialität versehen: brachial-zerbrechlich, brachial-flirrend, brachial-zerquält, brachial-zornig usf. Das alles erschüttert beim Hörer potenziell die Fähigkeit, sich selbst für etwas zu halten und kann in diesem Sinne klärend sein: Diese Musik schafft Zugang zu ergreifenden, zart berührenden und wuchtig erschütternden Mächten und lässt doch die Chance zur Selbstbehauptung.

Swans spielen am Samstag,28. 10., um 19 Uhr im Lagerhaus

Das letzte Europa-Konzert der Swans soll nun ausgerechnet im Bremer Lagerhaus stattfinden. Um die Ecke wohnt einer, der seit Jahren schon 110 wählt, wenn jemand in der Raucherecke vorm Lagerhaus auch nur hustet. Eine Legende auch er: Man munkelt, dass die Akten mit seinem Namen drauf beim Ortsamt ein ganzes Regal füllen. Wahrscheinlich kommt eine halbe Stunde nach Konzertbeginn die Polizei, dann Saalschlacht, und zum Schluss stürzt das Gebäude ein. Es wäre ein schöner Schluss.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen