Ben Becker über Berlin und den Glauben: „Geht mir doch nicht auf die Eier“
Am Ende eines langen Tages sitzt Schauspieler Ben Becker vor einem Weißbier. Er plaudert über Gott und die Welt – und was ihm nicht passt.
taz: Guten Tag, Herr Becker.
Ben Becker: Guten Tag. (Aus dem Handschlag wird eindringliches Händeschütteln). Machst du Sport? Boxen?
Ne, eher Fußball.
Es folgt ein kurzes Geplänkel über die Leber als wichtiges Knock-out-Organ beim Boxen. Dann setzen wir uns.
Herr Becker, Berlin wird gerade mächtig runtergemacht, weil hier nichts klappt.
Von wem? Von Wolfsburg?
Von den Medien aus dem ganzen Land, weil hier nichts funktioniert.
Hat hier schon jemals was funktioniert? Es war immer eine Stadt im Umbruch, ein Moloch, immer ein bisschen kaputt. Entweder man mag das oder nicht. Wenn nicht, dann muss man nach Wolfsburg oder Braunschweig ziehen. Für mich gibt es nur Berlin, nicht mal Hamburg.
Becker wurde 1964 in Bremen als Sohn des Schauspieler-Ehepaares Monika Hansen und Rolf Becker geboren. Er wuchs mit seiner Schwester Meret in Berlin bei seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten, dem Schauspieler Otto Sander, auf.
Der Schauspieler und bekennende Immer-noch-Punk tourte vor einigen Jahren sehr erfolgreich mit seiner Inszenierung „Die Bibel – eine gesprochene Symphonie“ (gemeinsam mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg und seiner Zero Tolerance Band) durch deutsche Hallen. Nun tritt er wieder mit religiösem Stoff vor großes Publikum: Er trägt Walter Jens‘ Monolog „Die Verteidigungsrede des Judas von Ischariot“ in Kirchen vor. Nach einigen Shows im November im Berliner Dom wird er dort noch einmal am 11., 12., 13. und 23. März auftreten.
Außerdem ist er bald in dem ZDF-Event-Dreiteiler „Berlin – Der geteilte Himmel“ zu sehen: ein Spionagethriller über die Mauerstadt im Jahr 1974. (gl)
Sie stammen aus Bremen. Haben Sie noch eine Erinnerung daran, wie es war, als Sie das erste Mal in Berlin ankamen?
Ja. Da war ich noch ein kleiner Junge, und mein Vater hat mich mit hergenommen, denn: „Da wird gutes Theater gemacht.“ Damals fing Peter Stein hier an. Der war mal bei uns zu Hause in Bremen, da hat der eine Dose Hundefutter mit der Eisensäge aufgemacht. Das war 1969, die große Zeit des Bremer Theaters. Dann ist Stein nach Berlin und hat das Theater am Halleschen Ufer übernommen [das heutige HAU 2, d. R.]. Mein Vater hat gesagt, das müssen wir uns angucken. Da habe ich gedacht: „Huhuhu, was ist hier denn los!?“ Als sich meine Mutter dann von meinem Vater getrennt hat, ist die hierher nach Berlin gegangen. Und dann hieß es: „Wo wollt ihr Kinder hin?“ Ich habe gesagt: „Ich will zu meiner Mutter nach Berlin.“
Fanden Sie die Stadt gleich toll?
Man musste ja damals mit British Airways einfliegen, und da hat man eine Kordel mit Plastikschild um den Hals gekriegt. Da stand drauf: „Juniorreisender Ben Becker“. Die Stewardess nahm mich an die Hand, und so kam ich in Tempelhof an. Otto [der Stiefvater Otto Sander, d. R.] hat mich abgeholt und versucht, mich anzugewöhnen. Wir waren immer Doppeldeckerbus fahren und im Kino am Ku’damm Bud Spencer gucken. So habe ich die Stadt lieben gelernt, bis heute. Ich bin hier zu Hause, bin Berliner, kein Bremer mehr. Was mir auf die Eier geht: Da oben in Prenzlauer Berg sitzen die ganzen Schwaben, die Zugezogenen, und sagen: „Der Becker ist ’ne dumme Sau und behauptet, er hätte Berlin erfunden.“ Und da bin ich bisschen sauer.
Haben Sie zu denen persönlich Kontakt?
Nö. Will ich auch nicht.
Das wurde Ihnen zugetragen?
Ich lese das in Ihrer Zeitung.
Aha.
(Kleine Pause.)
Sie wirken genervt. Hat das auch mit der Stadt zu tun oder . . .
Am furchtbarsten war es immer, wenn ich raus war aus der Stadt. Das Schlimmste ist mir in Stuttgart passiert, in der Pause von Kresniks „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“. – „Ben, die Mauer ist gefallen“, sagte Otto zu mir am Telefon. Ich: „Was? Ich komm hier nicht weg.“ Das war hart. Noch so eine schlimme Sache, da war ich gerade in Weißensee und habe eine Boxveranstaltung moderiert, wieder rief Otto in der Pause an: „Ben, wo bist du gerade?“ Ich: „In Weißensee.“ Er: „Halt dich fest, Marlon Brando ist gerade gestorben.“ Da fing ich an zu weinen, bin ich rein in die Veranstaltung zu den ganzen Friseusen und Rockern und habe gesagt: „Bitte erheben Sie sich von ihren Plätzen, der Mann, der mich zur Schauspielerei und zum Boxen gebracht hat, ist heute verstorben. Marlon Brando ist tot, ich bitte um eine Schweigeminute.“
Haben alle gehorcht?
Na logo.
Was war das für eine Veranstaltung?
Weiß nicht mehr, war im Boxtempel in Weißensee.
Ist Ihre „Judas“-Show im Dom körperlich so anstrengend wie Boxen?
Mehr. Es ist sehr heftig. Die Show dauert – wie man mir gesagt hat – anderthalb Stunden, aber gefühlt sind es über drei.
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Arbeiten und Text lernen. Das sind ja immerhin 27 Seiten in 14 Punkt [Schriftgröße, d. R.], da sitzt man schon lange. Und dann ist es von einem Rhetoriker, Walter Jens. Man hat es also nicht mit einem in sich geschlossenen, gängig dramaturgisch verständlichen Text zu tun wie im Theater. Also nichts mit: Ich gehe jetzt Maria töten, so tötööötö, was man nachvollziehen kann, sondern es ist ein rein rhetorischer Text. Und das zu lernen ist unheimlich schwer, und das zu behaupten. In dem Moment, wo ich mich da hinstelle, muss ich das ja auch irgendwie behaupten oder dahinterstehen in irgendeiner Art und Weise. Das ist schwer und wirklich Arbeit, aber die macht Spaß.
Was ist das für ein Gefühl, wenn man im Dom steht und zum Publikum spricht?
Da sitzen Leute, die möchten den Text hören, und dann gibt es einige, die haben sich über die scheiß Akustik beschwert. Die ist auch schwierig. Ich bin Schauspieler und sage einen Text und versuche dem Leben einzuflößen. Da gibt’s Leute, die interessiert das, und andere, die sagen, der Typ ist sowieso ein Arschloch, und dann gibt es welche, die finden das spannend, wie ich mich damit auseinandersetze. Dass es überhaupt jemanden gibt, der sich mit einem Text von Walter Jens auseinandersetzt. Weil, man kann auch einen Kack machen, verstehst du?
Klar.
Das tu ich nun mal nicht. Sondern ich hab Spaß an schöner Literatur.
Raucherpause
Ist es ein Unterschied, ob man so was in der Kirche macht oder im Tempodrom, wie Ihre Bibel-Lesung vor einigen Jahren?
Ja, ist ein großer Unterschied. Weil: Akustik in der Kirche ist schwierig. Ansonsten ist für mich eine Kirche eine Kathedrale und ein Theater ebenfalls. Es sind beides heilige Orte. Ob Christ oder Kommunist.
Sind Sie noch Kommunist?
Wenn sie es genau wissen wollen, Anhänger von August Thalheimer.
Muss ich passen.
Hab ich mir fast gedacht. Dialektischer Materialismus. Ein Tisch ist ein Tisch und ist kein Tisch. Ja, ich bin letztlich immer noch Kommunist. Aber nie Anhänger gewesen des ehemals angeblich real existierenden Sozialismus. Interessiert mich nicht, war immer scheiße.
Sind Sie früher öfter mal rüber nach Ostberlin?
Nur weil die Sportkleidung da so billig war. Turnhosen kaufen und so. Wenn die in der Schule gesagt haben, wir machen mal einen Kulturausflug nach Ostberlin, war ich total genervt, was soll ich da. Schön war, ich habe in einer Stadt gelebt, von der ich die andere Seite nicht kannte, und die wollte ich damals auch nicht kennenlernen.
Es gab ja ein paar Leute aus der Westberliner Subkultur, die das interessierte.
Wer?
Mark Reeder zum Beispiel.
Ja, vielleicht, das behauptet der auch.
Er hat immerhin mit „B-Movie“ einen ganzen Film darüber gemacht.
Das hat mich nicht interessiert, ich war mir selbst genug. Ich fand das nicht so spannend. Na ja, wobei, war schon spannend.
Was?
Die Zeit, total geil.
Vermissen Sie die?
Manchmal würde ich schon sagen: Danke schön, das war’s. Geht mir doch nicht auf die Eier, ihr ganzen Pfeifenköppe.
Was nervt Sie so sehr heute?
An Berlin gar nichts. Ich finde, dass die ganze Zeit heute sehr unübersichtlich geworden ist. Ich blicke kaum noch durch, es gibt so viel Scheiße, ob mit dem Klima, oder nimm das mit dem Reis. In Indien gibt es so viel Reis und so viele hungernde Kinder, das stimmt nicht. Der Reis wird zu uns verfrachtet für irgendwelches Tierfutter, damit wir bei McDonald’s futtern können. Oder in Syrien flippen die Freaks aus und bringen den Koran völlig durcheinander, und dann gibt es Skinheads aus Spandau, die wollen da unten aufräumen . . . Und wir verkaufen Heckler- &-Koch-mäßig über drei Ecken die Waffen da runter und reden über Klimaschutz, und VW hat ein ganz großes Problem wegen der Abgasverteiler. Das ist euer Kapitalismus. Und deshalb setze ich mich mit der Bibel auseinander und mit Judas Ischariot.
Raucherpause
Wie haben Sie es sonst so mit der Kirche?
Na, so wie Sie, ha, ha, ha.
Ich hab’s gar nicht mit der Kirche.
Ich gehe ab und zu mal hinein. Das kann ich jedem empfehlen. Das hat nichts damit zu tun, ob man wahnsinnig gläubig ist. Man geht einfach rein und hat einen Moment Ruhe für sich. Und einen Moment für Kommunikation mit dem Typen, der da oben hängt, wenn man ihn angucken will.
Sie meinen . . .
. . . Jesus Christus. Mit dem kann man sich in aller Stille unterhalten. Kirche ist durchaus ein Ort, wo man mal in Ruhe reflektieren kann.
Waren Sie schon im Kloster?
Des Öfteren, und ich gehe immer wieder gern hin. Einfach so, um runterzukommen.
Haben Sie sich vor der „Judas“-Show mit Kirchenleuten zusammengesetzt und sich beraten oder den Text einfach nur auf sich wirken lassen?
Ich habe mich mit intelligenten Leuten auseinandergesetzt, mit dem Dramaturgen John von Düffel vom Deutschen Theater. Und ich habe natürlich auch Kirchenfreaks angerufen, wenn ich eine Frage hatte. Wenn ich mich aus dem Fenster lehne, mache ich mich vorher halt kundig und frage Leute, die ein bisschen Ahnung haben, ob das so geht, wie ich es mache. Auf Glatteis bewege ich mich eh.
Ohne Angst?
Ich hab keine Angst, überhaupt nicht, nein, vor niemandem: Du kannst aufstehen, ich sehe deine großen Hände, aber ich habe keine Angst. Die Leber ist rechts unten, schwer ranzukommen, aber wenn man trifft, dann knallt’s.
Ist die „Judas“-Geschichte interessant, weil Sie auch eine Sündenbockgeschichte ist?
Nee, es ist einfach ein toller Text. Er hat mir der heutigen Zeit zu tun: Wer verrät wen? Die Flüchtlingsströme, die Völkerwanderung, wer hat die Leute verraten. Wer hat Griechenland verraten? Schröder? Das Thema Verrat ist ein spannendes Thema, das mich sehr interessiert, gerade in dieser Zeit. Deshalb habe ich gesagt, ich mache das jetzt. Und da ich weiß, wie man das Komma vom Semikolon unterscheidet, bin ich angetreten. Und glaube, es ist ganz gut geworden.
Haben Sie gravierende persönliche Erfahrungen mit Verrat?
Ja! Ja!
Wollen Sie darüber etwas erzählen?
Nein! Es hat sehr wehgetan. Das muss ich aber nicht in der Öffentlichkeit erzählen.
Okay.
Wie hat mein verstorbener Vater Otto immer gesagt: „Du kannst machen, was du willst, aber verarsch mich nicht, sonst werde ich sauer beziehungsweise traurig.“ Das habe ich mir gemerkt.
Das eine ist, ob dem Publikum Ihre Vortragskunst gefällt – das andere, ob es auch darüber nachdenkt.
Entweder man hat Spaß an Literatur und ernsthaften Sachen, oder man lässt es und guckt sich „Alarm für Cobra 11“ an! Ich versuche mir Mühe zu geben, Kunst rüberzutransportieren und Leuten irgendwas zu vermitteln und ernsthafte Fragen zu stellen. Und die häng ich auch an die große Glocke!
Raucherpause
Meine Frage zielte dahin: Es gibt heute einen großen Teil Publikum, ganz generell, der sucht vor allem das Spektakuläre, den Event mit Berühmtheiten.
Na, dann sollen sie doch kommen, ist doch schön. Bin ich doch dabei. Das ist doch mal eine Antwort. Ich kann diese Anpisserei nicht mehr ab.
Ich habe Sie nicht angepisst.
Nein, ist okay, ich weiß es doch auch nicht. Da überlegt man sich was mit einer Arbeit, und die Leute denken, ich mache Kasperletheater. Und dann sagen noch welche, das Krokodil ist scheiße, weil es so nachdenklich ist. Geht’s noch?!
Fühlt sich nicht gut an?
Nicht gut? Da geht der Arsch auf Grundeis! Trotzdem finde ich, das Stück von Walter Jens gehört dahin. Den Rhetoriker in die Kirche zu bringen, ist heavy und mutig. Dass die mich da überhaupt reinlassen! Aber christlich-gläubige Menschen, egal welcher Konfession, sind unheimlich offen für Fragen. Fragen stellen ist erlaubt: Fliegen wir demnächst zum Mars und gucken, ob wir Wasser finden und bauen dann da die nächste Scheiße auf? Als Künstler muss ich auf der Bühne Fragen stellen, die ich mir manchmal selber ausdenke und manchmal aus der Literatur hole. Deshalb bin ich nicht bei „Alarm 11“ dabei, sondern gucke im Buchregal, was hat Joseph Roth geschrieben oder Walter Jens oder Joseph Brodsky. Da wird’s interessant.
Sind Fragen wichtiger als Antworten?
Ich habe keine Antworten, und sie interessieren mich nicht. Ich weiß auch nicht, wer welche hat: die KPD oder Horst Mahler? Fritz Teufel war gut – „wenn es der Wahrheitsfindung dient“. Das steht auf seinem Grabstein hier um die Ecke. Da bin ich dabei. Antworten gibt’s nicht, aber Fragen stellen wird ja wohl erlaubt sein. Was können wir anderes machen, als Sachen infrage zu stellen? Ist das richtig, was ihr macht, oder liegen wir falsch?
Sie haben mir vor Jahren gesagt, Sie würden gern mal mit dem Papst ein Duett singen.
Der Papst muss aufpassen, dass sie ihn nicht um die Ecke bringen.
Ist der ihnen sympathisch?
Ja. Ich finde den gut, aber die Frage ist ja: Was ist der Papst, brauchen wir einen Papst?
Brauchen wir überhaupt eine Kirche?
Das ist mir zu privat.
Jut.
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