Belastung hängt vom Status ab: Ungerechte Umweltgerechtigkeit
Wohnen an einer stark befahrenen Straße, weil das Geld woanders nicht für die Miete reicht - ein Fall von Umweltgerechtigkeit. Diskutiert wird darüber kaum.
Es sind manchmal ganz einfache Beispiele, die zeigen, dass Umweltbelastungen in Deutschland ungleich verteilt sind: Der Kinder-Umwelt-Survey, eine Studie, die im Auftrag des Umweltbundesamts von 2003 bis 2006 durchgeführt wurde, zeigt, dass Kinder mit niedrigem sozio-ökonomischen Status häufiger an stark befahrenen Straßen wohnen als Kinder mit mittlerem oder hohem Sozialstatus.
Wohnen an der stark befahrenen Straße, weil das Geld woanders nicht für die Miete reicht: ein Fall von Umweltungerechtigkeit, eine "soziale Schieflage in der Belastung", sagt Horst-Dietrich Elvers, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der TU Dresden. Denn die Schadstoffbelastung, der die schlechter gestellten Kinder ausgesetzt sind, führe letztlich zu Gesundheitsschäden. "Das erklärt dann auch die Befunde, dass umweltbeeinflusste Gesundheitsstörungen in den unteren sozialen Schichten häufiger sind."
Umweltgerechtigkeit – ein Thema, das in Deutschland in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet. Das mag auch daran liegen, dass zum Thema kaum Primärstudien vorliegen. Meist werden lediglich bereits durchgeführte Studien ausgewertet, doch die kommen fast alle zu einem ähnlichen Ergebnis: Der soziale Status entscheidet mit darüber, in welchem Umfang Kinder, aber auch Erwachsene unter Umweltbelastungen leiden – soziale Merkmale wie Bildung und Einkommen beeinflussen Gesundheitsrisiken.
Etwa die Hot-Spot-Studie, die von 1999 bis 2004 in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde: Das dortige Landesumweltamt untersuchte Umweltbelastungen und mögliche Gesundheitsrisiken von 968 eingeschulten Kindern und ihren Müttern in drei Stadtteilen in Dortmund und Duisburg – als Vergleich zog man die Stadt Borken aus dem Münsterland heran. 2006 wurde die Studie im Hinblick auf Umweltgerechtigkeit erneut ausgewertet.
Zwar seien die Daten ursprünglich zu einem anderen Zweck erhoben worden, heißt es da. Jedoch sei ein enger Zusammenhang erkennbar zwischen dem Sozialstatus der Kinder und der Frage, inwiefern sie verschiedenen Luftschadstoffen ausgesetzt sind. "Sozial benachteiligte Kinder erwiesen sich dabei als stärker belastet."
Ursprung in der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung
Eine Debatte über eine solche Verteilung von Umweltbelastungen findet hierzulande in wissenschaftlichen Kreisen statt, von oben. Dabei entstand sie einst von unten, aus der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung – und hat sich "zu einem Dogma der farbigen Bevölkerung entwickelt", so Elvers von der TU Dresden. Die Betroffenen gingen für eine gerechte Verteilung auf die Straße, zahlreiche Bürgerinitiativen gründeten sich. Die Kirche griff das Thema auf und ließ erste Studien erstellen, um die gefühlte Ungerechtigkeit auch statistisch zu belegen.
Danach ging Environmental Justice seinen Weg durch die Institutionen, bis Bill Clinton 1994 eine Order unterzeichnete, die sich mit Umweltgerechtigkeit bei Minderheiten und einkommensschwachen Schichten befasste und zu bundesstaatlichem Handeln verpflichtete. Die Environmental-Justice-Debatte als Renaissance der Bürgerrechtsbewegung – eine "vergleichbare Tradition gibt es in Deutschland nicht", sagt Elvers.
Bislang wurde das Thema so gut wie gar nicht von den sozialen Bewegungen aufgegriffen. "Es gibt kaum Demos die fordern: weniger soziale Schieflage bei der Umweltbelastung", sagt auch Heike Köckler. Die Raumplanerin forscht an der Universität Kassel über Umweltgerechtigkeit. "Die Gruppe der Migrantinnen und Migranten ist ja sehr inhomogen und ein Zusammenschluss verschiedener Nationalitäten oder ethnischer Hintergründe unwahrscheinlich", sagt sie. Und es gebe eben kein "Turkish People Rights Movement", das auf die Probleme aufmerksam macht und dagegen mobilisiert.
Das Problem: Entweder die Betroffenen haben kein Wahlrecht, weil sie keine deutschen Staatsbürger sind – oder sie nutzen ihr Wahlrecht nicht. "Sie sind oft nicht die Klientel der deutschen Politik", so Köckler.
Fehlendes "Mobilisierungspotential"
Dagegen hätten die Bewohner der Stadtviertel, in denen die Umweltbelastung sehr gering ist, eine ganz andere Lobby. Denn oftmals fehlt es nicht nur am Geld, es fehlt auch an Einfluss. Etwa, wenn entschieden wird, wo ein Mobilfunkmast hinkommt, und wo eine Straße ausgebaut werden soll. "Wer kann sich dann erfolgreich dagegen wehren, weil der Widerstand aus der Bevölkerung gut organisiert ist – mit politischen Kontakten, mit eigener Parteienzugehörigkeit?", fragt Elvers. Auch das seien Aspekte der Umweltgerechtigkeit, er nennt das "Mobilisierungspotential": Manche hätten nicht das Geld, sich einen Anwalt zu leisten, bei manchen "kommt der Bürgermeister und macht Wahlkampf".
Doch warum findet das Thema keinen Weg in die Öffentlichkeit? Ein Grund für die geringe Aufmerksamkeit mag sein, dass die Fälle von Umweltungerechtigkeit in Deutschland meist weit weniger dramatisch sind als in den USA: keine Skandale; keine Geschichten, die die Zeitungen gerne erzählen. Vielmehr seien es "schleichende Prozesse", in denen die Betroffenen erkranken, sagt Forscherin Köckler.
Dass die Lage hierzulande komplexer ist, zeigt sich auch daran, dass es Krankheiten gibt, die nicht in das Bild der sozialen Schieflage passen: Sowohl der Kinder-Umwelt-Survey als auch auch die Hot-Spot-Studie zeigen, dass bestimmte Allergien oder Infekte in einkommensstarken Haushalten häufiger vorkommen als in einkommensschwachen.
Trotzdem findet das Thema, wenn auch spät, Einzug in die Politik: "Wir werden das Thema Umweltgerechtigkeit aufgreifen und die Zusammenhänge zwischen Umweltbelastungen und sozialer Benachteiligung systematisch aufarbeiten", heißt es etwa im gemeinsamen Koalitionsvertrag der rot-grünen Minderheitsregierung in NRW, der im letzten Jahr unterzeichnet wurde.
Unter anderem gibt es dort das "Aktionsprogramm Umwelt & Gesundheit", das verschiedene Akteure aus Politik, Wissenschaft und kommunalem Bereich vernetzt. Im Rahmen des Programms "wird das Thema soziale Gerechtigkeit mit dem Schwerpunkt auf Umweltgerechtigkeit und Gesundheit als Querschnittsthema behandelt", verspricht das NRW-Umweltministerium.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft