: Belagerung aufgehoben
■ Hilfskonvoi kurz vor Maglaj / UN erkennt westbosnische Separatisten an
Zagreb (taz) – Nachdem Bosniens Muslime und Kroaten am Samstag rund ein Drittel ihrer Kriegsgefangenen ausgetauscht hatten, erreichte gestern der erste UN-Hilfskonvoi seit fünf Monaten Maglaj. Zuvor hatten sich die bosnischen Serben überraschend aus der Umgebung der Enklave zurückgezogen. Damit ist auch der Weg in die kroatischen Enklaven Zepće und Usora frei.
Aus der muslimischen Enklave Bihać in Westbosnien wurden dagegen schwere Kämpfe gemeldet. Die Region war bei Kriegsbeginn vom Rest des Landes abgeschnitten worden, aber erst durch die Ausrufung zur „Autonomen Provinz“ im September letzten Jahres wurde sie gespalten. Der ehemalige Wirtschaftsfunktionär Fikret Abdić hatte gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung einen Separatfrieden erreichen wollen. Tatsächlich kämpft seitdem Abdićs muslimische Polizei gegen bosnische Regierungstruppen. In dem von seinen Milizen kontrollierten Gebiet um dem Hauptsitz von Abdićs Firma „Agrokomerc“, Velika Kladuša, wurde ein Polizeistaat installiert. Mitarbeiter des internationalen Komitees vom Roten Kreuz berichten, die Polizei des Provinzfürsten arbeite mit den serbischen Belagerungstruppen zusammen. In Gefangenenlagern nahe Velika Kladuša seien Soldaten der bosnischen Armee unter menschenunwürdigen Umständen inhaftiert.
Ohne das Wissen des Hauptquartiers der UN-Schutztruppen (Unprofor) unterstützen auch die 2.500 französischen Blauhelme in der Enklave die Politik Abdićs. Obwohl dessen Autonomieerklärung nach der gültigen bosnischen Verfassung illegal ist, verteilen die UN-Soldaten Flugblätter an die Zivilbevölkerung, auf denen dazu aufgefordert wird, Frieden mit Abdić zu schließen. Auf den Papieren, die an den Ausgabestellen für Lebensmittel verteilt wurden, heißt es zudem, die UN erkenne die „Regierung Abdić“ an.
Dessen Ziel scheint zu sein, die Bihać-Region mit den Serben zu teilen. Gelänge es deren Truppen, Bihać und das ebenfalls von Regierungstruppen gehaltene Cazin an der Grenze zu Kroatien voneinander zu isolieren, so stünde einer Vereinigung der kroatischen und bosnischen Serbengebiete nichts mehr im Wege. Abdić bekäme Cazin, die Serben das Industriegebiet um Bihać und die Eisenbahnlinie von ihrer bosnischen Hochburg Banja Luka nach Knin, der „Hauptstadt“ der serbisch besetzten Krajina in Kroatien. Positiver Nebeneffekt für die UNO: Das Gebiet würde die anstehenden Verhandlungen um die Gliederung der muslimisch-kroatischen Föderation nicht mehr belasten. Theodor Fründt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen