■ Beitrag zur Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft: Schwieriger Dialog
Beitrag zur Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft
Schwieriger Dialog
Unterscheiden sie sich in Sprache und Urlaubsverhalten? Essen sie dieselbe Wurst, lesen sie dieselben Bücher? Haben sie gleich viel Schulden und gleich viel Sex? Zünden sie gleich häufig Asylantenheime an? Zum fünften Jubiläum des Mauerfalls gerät jedes Zipfelchen der Beziehung der Deutschen zu den Deutschen unters Röntgengerät. Talk-Shows, Diskussionsveranstaltungen, Essays – beneidenswert ausdauernd kreisen wir um unseren eigenen deutschen Bauchnabel (oder sind es zwei?) und analysieren, was Ost und West trennt.
Sechs Millionen Menschen mit ausländischem Paß leben in Deutschland. Sechs Millionen Menschen – immerhin ein gutes Drittel der Einwohnerzahl der verblichenen DDR. Doch nicht ein einziges Mal in der 30jährigen Einwanderungsgeschichte haben Deutsche und Nichtdeutsche ähnlich intensiv und akribisch diskutiert, was sie verbindet und was sie trennt, was sie aneinander mögen und was sie nicht riechen können. Hätte man diese Auseinandersetzung beizeiten geführt, die deutsche Gesellschaft wäre um ein Stück Weltoffenheit reicher und um einen Haufen Konflikte ärmer.
Jetzt hat die Intertaz in ihren letzten Ausgaben einen solchen Versuch unternommen. Irina Wießner hatte in der Intertaz vom 15.Oktober ein Plädoyer gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gehalten – mit teils pauschalen und politisch untauglichen Argumenten, aber auch mit nachdenkenswerten, unbequemen Beobachtungen. Vierzehn Tage später hat Franco Foraci an gleicher Stelle erwidert und die kaum begonnene Diskussion ins Zeitalter mittelalterlicher Denkverbote zurückgetrieben. Als Antwort auf die political incorrectness Irina Wießners fiel ihm nur das eine ein: „durchtriebene Rassistin“.
Beide Diskussionsbeiträge haben sich mit dem Streitpunkt doppelte Staatsbürgerschaft ein Thema gesucht, das wie kein anderes zur Ideologisierung reizt. Selbst wenn es stimmen würde, was Irina Wießner suggeriert, daß die Türken Chauvis, Nationalisten, Kurdenhasser oder Rückschrittler sind – die Frage der doppelten oder einfachen Staatsbürgerschaft und das damit verbundene Wahlrecht dürfen nicht verküpft werden mit den politischen, weltanschaulichen oder moralischen Positionen derer, die sie anstreben. Die Menschen werden ihre Einstellungen nicht wechseln, wenn sie den Paß wechseln. Gleichzeitig gibt es kein Recht, Staatsangehörigkeit und Wahlrecht an politisches Wohlverhalten und Fortschrittlichkeit zu binden. Die Vorstellung mag verlocken, aber andernfalls müßten wir vielen Urdeutschen umgehend das Wahlrecht entziehen.
Umgekehrt eignet sich das Thema doppelte Staatsbürgerschaft nicht für Märtyrerlegenden, wie Franco Foraci sie aufbaut: Arme Migranten, in „jahrzehntelanger politischer und rechtlicher Ausgrenzung lebend“, haben keinen anderen Weg, als bei der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ihren alten Paß zu behalten „aus dem existentiellen Bedürfnis zur Wahrung der eigenen Würde“. Nur: Menschliche Würde ist keine Frage der Staatsbürgerschaft, und rechtliche und soziale Ausgrenzung kann kein Freifahrtschein für politischen Unfug sein.
Die doppelte Staatsbürgerschaft ist keine Frage von Ideologie, sondern von pragmatischer Vernunft: Wer die Absurdität beenden will, daß Menschen, die ihren eindeutigen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, rechtlich benachteiligt sind und von der Politik ausgeschlossen werden, muß Einbürgerungen erleichtern. Wenn gleichzeitig sämtliche Erfahrungen und Umfragen zeigen, daß die Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft ein Haupthindernis für die Annahme der neuen ist, muß die Politik dieses Hindernis beiseite schaffen, egal ob es nachvollziehbar ist oder nicht.
Aber warum wird die Debatte so erbittert geführt? Tatsächlich ist die doppelte Staatsbürgerschaft nur argumentativer Vorposten, hinter dem eine konfliktreichere Debatte lauert: Welche Integrations- und Anpassungsanforderungen kann, darf und muß eine Gesellschaft an ihre Einwanderer stellen? Wieviel Toleranz, Verständnis und Bereitschaft zur eigenen Veränderung muß umgekehrt eine Einwanderungsgesellschaft aufbringen? Auf dieser abstrakten Ebene ist dazu Kluges und weniger Kluges gesagt und geschrieben worden. Doch was das im praktischen Alltag bedeutet, ist dem deutschen, aber auch dem nicht- deutschen Teil unserer Gesellschaft niemals einen breiten öffentlichen Diskurs wert gewesen. Konflikte wurden allenfalls im privaten Umfeld ausgetragen oder ausgesessen.
Den kleinsten Funken einer tabufreien, öffentlichen Diskussion hat zuletzt die anwachsende Fremdenfeindlichkeit erstickt. Dabei müßte gerade sie Anlaß sein, die Reibungspunkte und Trennlinien zu diskutieren.
Zu einem solchen Diskurs gehört jedoch, was auf beiden Seiten bisher fehlt: auf deutscher Seite die Einsicht in die Notwendigkeit und die Bereitschaft zum Zuhören und Lernen, auf seiten der unterschiedlichen Einwanderer-Communities vor allem der Schritt, sich als – politisch agierender – Teil dieser Gesellschaft zu definieren und zu organisieren. Der deutsch-deutsche Dialog über Trennendes, Gemeinsames, Verletzendes wurde erst möglich, nachdem die DDR-Bürgerbewegung der schweigenden Mehrheit Gehör verschafft hat – und die auch bereit war, zu reden. Wenn die schweigende (ausländische) Minderheit sich Gehör verschaffen könnte – und die Kraft zum Reden aufwenden würde –, es wäre ein schwieriger Dialog: Warum stellt ihr immer eure Musik so laut – warum haben eure Frauen so kurze Röcke an? Wie kriegt ihr eure rechten Schlägerkinder in den Griff? Wie habt ihr eure Jungens erzogen, daß sie mit 80 Sachen durch die Spielstraßen rasen? Wie könnt ihr eure Töchter mit einem ungeliebten Kerl verheiraten? Wo ist eure Familie, wenn einer von euch in Not gerät? Hätten wir nur einen Bruchteil der Diskussionen, die derzeit über die deutsch-deutsche Beziehung geführt werden, zu all diesen Fragen – Fernseh- Talk-Shows könnten endlich wieder spannend werden. Vera Gaserow
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