: Beirut - ein zermalmendes Räderwerk
Die Intellektuellen der zerbombten libanesischen Hauptstadt haben längst jede Hoffnung verloren / Mit politischen Initiativen machen sie sich zum Ziel von Anschlägen / Sie werden erschossen, ausgebombt und geschlagen / Ein Ende der Agonie ist nicht abzusehen ■ Von Rajvinder Singh
„Herr Professor, darf ich etwas fragen? - „Bitte!“ - „Herr Professor, was ist der Unterschied zwischen einem Phönizier und einem Araber?“ Er entgegenete, ich solle besser schweigen. Ich warte bis heute auf jemanden, der mir meine Frage beantwortet.
„Und du, Politiker, was sagst du?“ - „Das sind zwei Libanesen, einer dümmer als der andere...“
Diesen Dialog schrieb 1972 der libanesische Schriftsteller, Staatsmann und Journalist (christlicher Abstammung) Taufik Yussuf Awwad in seinem, inzwischen auf Empfehlung der Unesco in mehreren Sprachen übersetzten Roman Tawahin Beirut (Mühlen von Beirut). In dem Buch schildert der Libanese christlicher Abstammung schon drei Jahre vor dem eigentlichen Beginn die Gefahren eines Bürgerkriegs.
Nein... nein... dumm sind sie nicht. Sie sind aber als dumm verkauft worden, und zwar damals von den Franzosen, entgegnete Elias, als mir einer der libanesischen Schriftsteller diese Episode aus dem Roman Awwads übersetzte. Elias ist Ingenieur beim libanesischen Rundfunk. Mit „damals“ meinte der Christ Elias das Jahr 1946, als die damalige französische Mandatsmacht und koloniale „Weltmacht“ im Gegensatz zu ihrem nationalen Slogan „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ihre Vorliebe für die christlichen Brüder bewies und deren Vorherrschaft im Libanon festlegte. - Damit wurde zugleich das Fundament für den nun fast 15 Jahre dauernden Bürgerkrieg geschaffen.
Wie Elias denken nicht wenige Intellektuelle im Libanon. Fast alle Schriftsteller, Journalisten, Ärzte und Ingenieure und viele andere sind der Meinung, daß der Konfessionalismus und die 6:5-Formel als Grundlagen des politischen System im Libanon, deren Architekten zweifelsohne die französische Kolonialmacht war, Saatgut für jene politische und kulturelle Identitätskrise der Libanesen gewesen ist. Hinzu kamen dann natürlich auch die Palästinenser, das vertriebene Volk, welches von den progressiven Libanesen als Opfer der agressionistischen und expansionistischen israelischen Politik bezeichnet werden. Es sei in Erinnerung gerufen, daß nach der Niederlage der arabischen Heere im Junikrieg von 1967 zirka eine halbe Million Palästinenser obdachlos nach Libanon gekommen waren, um dort Zuflucht zu suchen. Diese Zahl bildete damals immerhin ein Fünftel der gesamten Bevölkerung Libanonos. Die Präsenz der Palästinenser verstärkte den alten Identitätskonflikt zwischen den sich arabisch fühlenden und den sich als Phönizier verstehenden Libanesen. Die einen fühlen sich verpflichtet, den arabischen Brüdern ein Dach zu gewähren, die anderen, die ihre jahrhundertealte arabisch-kulturelle Identität ablehnen, wollen damit nichts zu tun haben. Sieben Jahre lang kochte dieser seit 1946 angelegte Identitätskonflikt der Libanesen unterschwellig, bis er am 13.April 1975 endgültig mit dem Überfall auf den palästinensischen Bus durch den Phalangisten (al-Kataeb) in einem offenen Bürgerkrieg wie Lava erruptierte.
Mehr als 14 Jahre dauert der Bürgerkrieg nun, in dem mehrere Tausend Menschen ihr Leben ließen. Nie waren die Kämpfe so heftig wie in der Mitte dieses Monats. Allein in den letzten zehn Tagen starben mehr als 300 Menschen durch Artillerieangriffe. Laut Dakrub, dem Literaturkritiker und Herausgeber einer kulturpolitischen Zeitschrift aus Beirut, der schon einem Attentat auf sein Leben entgehen konnte und zur Zeit außerhalb Beiruts lebt, ist das jüngste Blutbad den großen Waffenlieferungen Iraks und Israels an General Aoun zuzurechnen. Er hat zusätzlich zu den USA, Israel, Frankreich und dem Vatikan nun auch noch im Irak einen Verbündeten gefunden. „Daß die Israelis es schaffen konnten, die globale Aufmerksamkeit von 'Intifada‘ auf Beirut zu verlagern, haben sie Aoun zu verdanken“, sagt Dakrub. Der Klub gegen die Syrer wächst; schließlich sind sie ja auch keine Engel, handeln im Libanon immerhin im Auftrag der arabischen Liga, heißt es. Im Libanon von heute wird der Untergang der Ideologien deutlich.
Ein Ende dieser Lage ist nicht abzusehen. Je mehr das Desinteresse der Weltmächte und der arabischen Regierungen den Libanon-Konflikt vernünftig zu beenden sich abzeichnet, desto stärker werden die Anstrengungen der Gruppe Intellektueller, die in der libanesischen Schriftsteller -Union organisiert sind. Ihr Verband, der neben der Vereinigten Arbeiter-Union Libanons die einzige gewerkschaftsähnliche Institution ist, die nicht zwischen Ost und West geteilt ist, versucht mit konstruktiven Vorschlägen, die rivalisierenden Fraktionen zum Dialog zusammenzubringen. Über 400 bekannte Autoren, Musiker, Schauspieler und Filmemacher aus Ost- und West-Beirut, sowie Priester und Scheikhs, die die Mitgliedschaft der Union bilden, haben mehrmals über Radio, Fernsehen, Zeitungen und sogar mit direkten Schreiben an die kämpfenden Parteien appelliert, ihre Waffen niederzulegen und eine Regierung der nationalen Versöhnung zu bilden, in der alle Parteien zu Wort kommen sollen. Sie plädieren für einen demokratischen und säkularen Staat Libanon, frei von israelischer und syrischer Besatzung, in dem Konfessionalismus und Vorherrschaft einer bestimmten Gruppe keine Rolle spielen sollen.
„Aber wir sind uns darüber im klaren, daß Syrien seine Soldaten nicht zurückziehen wird, solange die israelische Armee Libanon besetzt hält“, sagt Samir, der zweite Vorsitzende der Schriftsteller-Union. „Wir haben ein positives Echo von verschiedenen Parteien aus dem Ostteil Beiruts erhalten. Nur die Phalangisten Malitia hießen unsere Vorschläge nicht gut. Stattdessen werden diejenigen, die an unseren gemeinsamen Diskussionen teilnehmen und nach West -Beirut kommen, bei der Rückkehr stark belästigt. Ihre Büroräume werden verwüstet, und sie werden auch oft geschlagen.“
Vor vier Wochen wurde Gebäude der Schriftsteller-Union in West-Beirut bombardiert. Seit 1977 sind die Mitglieder der Union ständig Zielscheiben von Attentaten der kämpfenden Fraktionen. Von den zwölf Autoren, die in den vergangenen Jahren umgebracht wurden, zählen über zwei Drittel zu den wichtigsten Autoren der arabischen Welt. Das erste Opfer des konfessionellen und fanatischen Hasses war der renommierte Sozialist, Philosoph und patriotische Ideologe Kamal Joumblatt (I Speak for Libanion, London 1982) geworden, der am 16.März 1977 niedergeschossen wurde. Khalil Hauwi, der bekannte Dichter christlicher Abstammung, glaubte sehr stark an den arabischen Patriotismus. Als 1982 das israelische Heer Beirut besetzte, beging er Selbstmord. 1985 wurde Suhail Tauili, der Chefredakteur einer bekannten geistigen und literarischen Review 'At-Tarik‘, umgebracht. Bewaffnete Männer hatten ihn aus seiner Wohnung verschleppt und erschossen. 1986 wurde der Schriftsteller und Professor für arabische Philologie Suphey Saleh niedergestreckt, als er eine Moschee verließ. Im Februar 1987 erschossen die fanatischen Moslems den 75 Jahre alten Autor Hussain Muruwi. Im Mai desselben Jahres wurde Mahdi Amel, der 80 Jahre alte Autor, auf offener Straße von Kugeln durchsiebt. Auch der Schriftsteller und Journalist (christlicher Abstammung) Hassan Fakhar, der gegen die israelische Besatzung anschrieb, fand ein gewaltsames Ende. Sein Wagen wurde mit Dynamit in die Luft gesprengt. Selbst der Patriot Taufik Yussuf Awwad, der in den vierziger Jahren für die Unabhängigkeit Libanons kämpfte und von den Franzosen inhaftiert wurde, mußte sterben. Im Frühling dieses Jahres kam der Autor, der 30 Jahre lang als Diplomat sein Land im Ausland vertrat und 1972 seine Landsleute vor der Gefahr eines Bürgerkriegs gewarnt hatte, um, als sein Haus unter Atilleriebeschuß geriet. Samit ist von seinem Tod tief betroffen: „Aus dem schönen Beirut ist eine riesige Mühle geworden; eine Mühle, die alles zermahlt: Menschen, Häuser, Hoffnungen.“
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