: Beijing: Streikfront der StudentInnen bröckelt
■ Der StudentInnenschaft droht trotz der Hoffnungen, die die Bevölkerung auf ihre Demokratieforderungen setzt, die Spaltung
Beijing (afp/taz) - Die überraschenden Massendemonstrationen der letzten Wochen haben die chinesische Führung in die Defensive gedrängt. Mit dem Todesurteil gegen den Eisenarbeiter Wang Jun demonstrierte sie am Donnerstag jene Härte, die sie gegen die protestierenden StudentInnen angekündigt hatte. Wie am Samstag eine amtliche Tageszeitung berichtete, ist der Eisenarbeiter zum Tode verurteilt worden, weil er bei den schweren Auseinandersetzungen vom 22.April in der Stadt Xian eine „erstrangige Rolle“ gespielt habe. Die Berichterstattung über diese Auseinandersetzungen unterschied sehr genau zwischen den in geordneten Reihen marschierenden StudentInnen und anderen Bevölkerungsteilen, die für Brandanschläge auf Staatsbüros, Plünderungen und Schlägereien mit Polizisten verantwortlich gemacht wurden. Schon am Tag nach den Gewalttätigkeiten hatten die Behörden in Xian etwa 40 „Delinquenten“ verhaftet. Der zum Tode verurteilte Wang Jun habe Steine auf die Bereitschaftspolizei geworfen, in den Regierungsbüros Rechner und Schreibstifte entwendet und auch an weiteren Plünderungen teilgenommen.
Der Beijinger Stundentenbewegung droht unterdessen die Spaltung. Teile des „städtischen Studentenverbandes“, zu dem sich Delegierte der unabhängigen StudentInnenkomitees zusammengeschlossen hatten, verkündeten am Abend des 4.Mai überraschend und ohne vorherige Diskussion den Abbruch des Streiks. Etliche Delegierte waren erst gar nicht in die Entscheidung einbezogen worden. Die meisten Studenten, die zwei Wochen lang gestreikt und demonstriert haben, sind über diesen Entschluß enttäuscht und wütend. Denn von der Regerierung kam bislang noch nicht das geringste Zugeständnis. Nach einer Diskussion auf dem Gelände der Beijing-Universität einigte man sich am Freitag abend auf einen erneuten Streikaufruf. Die StudentInnen fürchten mit dem vorzeitigen Einlenken eine historische Chance zu verspielen, zumal auch die städtischen Bevölkerung große Hoffnungen auf die Demokratieforderungen des Protestes gesetzt hat. Befürchtet wird zudem, daß die Aktivisten nach der offiziellen Beendigung des Streiks kriminalisiert werden könnten. Noch halten die meisten Studenten an ihrer Forderung nach Legalisierung der Komitees und ihrer Anerkennung als Partner für einen „echten Dialog“ fest. Doch am Samstag vormittag erschienen erstmals wieder etwa zehn Prozent der kommilitonen in den Hörsälen.
Thomas Reichenbach
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