piwik no script img

Bei Schutzgelderpressung machtlos

■ Gastwirte haben Vertrauen in die Polizei verloren/ Charlottenburger Wirtschaftsgespräch in Brauerei/ Hoteliers besorgt wegen zunehmender Kriminalität/ Das »Bezahlen« gehe weiter »ohne Ende«

Charlottenburg. »Es gilt, Themen nicht totzuschweigen«, erklärte Wirtschaftsstadtrat Helmut Heinrich am Montag abend zu Beginn des vierten Charlottenburger Wirtschaftsgespräches in der Engelhardt-Kantine vor rund 30 ausgewählten Gästen aus dem Gaststättengewerbe. Nach dem lukullischen Vergnügen an einem umfangreichen Buffet galt es, den Worten der Staatsanwältin Nielsen — Dezernat für organisierte Kriminalität — zu lauschen.

»Mit massiver Gewalt« gingen seit etwa einem halben Jahr Exil-Sowjetbürger gegen ihre Landsleute aus dem Berliner Textilhandel vor. Da die »staatliche Seite von den Betroffenen meist unterschätzt« werde, ginge das »Bezahlen weiter ohne Ende«.

Der Leiter des Referats für Vorbeugung und Beratung beim Polizeipräsidenten, Winfried Roll, vertrat den Standpunkt, »es erst einmal durchbrennen zu lassen, damit man sieht, wo man löschen kann«, denn bisher »brodele die Gerüchteküche«, ein konkreter Fall von Schutzgelderpressung im Gaststättengewerbe sei jedoch noch nicht bekannt. Einigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei bestand darin, daß unterschwelliges Drohen bisweilen ausreiche, denn »viele bezahlen, ohne abzuwarten, was passiert«.

»Ein Vertrauen in Ihre Kollegenschaft ist bei uns nicht mehr vorhanden«, warf ein Gastwirt resignierend ein. Ihn hätte bereits eine Handvoll Jugendlicher ein viertel Jahr lang »tyrannisiert«, ohne daß die Polizei erkennbare Hilfe geleistet hätte. Wie solle er nun bei professionellen Schutzgelderpressern reagieren, wenn diese »an meine Tür klopfen«. Im Laufe der nächsten halben Stunde ergoß sich zunächst ein Schwall von Vorwürfen der Gastwirte über die Polizei.

Alsterhof-Geschäftsführer Bendig bemängelte zwar die »massiven Diebstähle in den Gasträumen«, doch insgesamt sei er mit der Entwicklung der Hauptstadt Berlin zufrieden, denn »wir haben endlich die Preise erhöht und uns von den Turnschuhtouristen gelöst«. »Eine Lanze für die Polizei« brach der Hauptgeschäftsführer der Gaststätteninnung, Peter Breithoff, indem er anführte, daß der Polizei oft die Hände gebunden seien. So sei beispielsweise ein Freund und Helfer, der in der Eingangshalle seines Hotels hilfreich den Fax-Steckbrief eines südamerikanischen Diebes aufhängte, strafversetzt worden. »Tja, der heilige Datenschutz«, stöhnte Winfried Roll, »der heilige Datenschutz«.

Ziel der Veranstaltung war es, Betroffene für die Schutzgeldproblematik zu sensibilisieren und Vertrauen zur Polizei aufzubauen. Ob dies gelungen ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls ließ sich Engelhardt-Geschäftsführer Calliesz nicht lumpen und freute sich, »mit Ihnen noch ein paar schöne Bierchen zu trinken. Christian Haase

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen