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■ Bei Ministers zu Haus (6) – die Heime unserer neuen RegierungGelbe Limo im Ausstellungsstück

„SCHARPING“ steht auf dem Klingelschild. „Das hat Julia gemacht, meine Jüngste. Mit meinem Computer“, begrüßt mich der Hausherr in seiner Jugendstilvilla am Westrand der 20.000-Seelen- Gemeinde Lahnstein. Der zukünftige Verteidigungsminister trägt ein bordeauxfarbenes Sweatshirt, Jeans und gelbe Espadrilles. Sein Händedruck ist kräftig. „Gehen wir doch ins Arbeitszimmer“, sagt er und klopft an eine der bleiverglasten Flügeltüren am Ende der Eingangshalle: „Julia?“ Von drinnen hört man Computerlärm. „Julchen. Der Mann von der Zeitung ist da. Dürfen wir hereinkommen?“ Keine Antwort, nur ein synthetisches Knattern und Fauchen, dann eine kleine Fanfare und eine verzerrte Männerstimme: „C'mon! Get outta this hell!“ Danach beginnt der Lärm von neuem...

„Das ist kein Problem“, sagt Scharping, „dann gehen wir eben in mein Zimmer.“

Wir durchqueren erneut die stuckverzierte Eingangshalle, vorbei an der ausladenden Kirschholz-Garderobe, wo die mauvefarbenen Fahrradhelme hängen, steigen die elegante Steintreppe mit ihrem Geländer aus filigran ineinandergeschlungenen, schmiedeeisernen Lilien hinauf. Oben auf der Empore leht das Rennrad an einer Kommode. Darüber, in einem randlosen Rahmen, hängt ein einzelnes Foto: Scharping zwischen seinen drei Töchtern bäuchlings auf dem Bett; auf dem Boden eine Nintendo-Konsole; Vater und „Julchen“, Joysticks in der Hand, starren gebannt auf den Bildschirm vor ihnen. „Weihnachten 96“, lacht Scharping. „Das Bild hat meine Frau gemacht.“

Der Mann, der einmal Kanzler werden sollte, steht in der geöffneten Tür und bittet mich lächelnd einzutreten: „Sehen Sie, das nenne ich Jugendstil.“ In dem kleinen Zimmer steht eine schlichte Schrankwand aus Mahagoni-Imitat (furniert) mit Schreibecke und Klappbett – sein altes Jugendzimmer, das er nach der Renovierung der Villa aus der elterlichen Wohnung im benachbarten Niederelbert geholt und hierher gebracht habe. Ein „Ausstellungsstück“, wie Scharping versichert, aus der Zeit, als sein Vater noch als Möbelhändler arbeitete. Eigentlich hätte hier seine jüngste Tochter einziehen sollen, „aber sie wollte dann doch lieber in mein Arbeitszimmer. Schließlich steht dort ja auch der Computer. Das ist ein fairer Kompromiß.“

Scharping knipst einen beleuchtbaren Globus an, der in eines der integrierten Regale gestellt ist. Daneben stehen aufgereiht ein paar Bücher: Reclamheftchen („Woyzeck“, „Maria Stuart“, „Die Leiden des jungen Werther“, „Lucinde“, „Der Gallische Krieg“, „Die Judenbuche“...), das Grundgesetz, „Andorra“, „Ansichten eines Clowns“, ein Bildband „Königstein“. Im Regal darunter stapen sich zwei „Mensch, ärgere dich nicht!“-Spiele und ein Modellbaukasten. Auf einem Flickerlteppich, zwischen einem braunen Cordsessel und einem überdimensionalen Schaumstoffwürfel steht ein leeres Glas mit „Biene Maja“-Motiv und eine halbleere Flasche „Lahnsteiner Sprudel“. „Gelbe Limo!“ lacht Scharping und gießt sich vornübergebeugt ein: „Sie auch?“ An die beigegestrichenen Rauhfaserwände sind rund um ein „WHY?“-Poster düstere Aquarelle gepinnt. Auf einigen ist so etwas wie ein roter Springbrunnen zu erahnen. „Die sind noch aus meiner Therapie. 1995. Eigentlich ganz hübsch, nicht?“

„Und hier:“ – der designierte Minister hat sich im Schneidersitz vor die Schrankwand gesetzt – „meine Plattensammlung. Led Zeppelin. Die Beatles. Ein Best of. Grönemeier natürlich, ,War of the Worlds‘ ... und hier: der Konstantin. Komplett! Die beiden letzten Alben habe ich auch als CD. Unten im Arbeitszimmer.“ Er ist wieder aufgesprungen. „Dort habe ich auch seine Autogrammkarte. Die zeige ich Ihnen später.“

„Sie wissen ja“, sagt er nun und deutet in Richtung Poster, „ich wollte schon immer zur Bundeswehr. 1966, direkt nach dem Abitur, habe ich mich freiwillig gemeldet. Aber nach ein paar Monaten haben sie mich wieder nach Hause geschickt. Die Augen, wissen Sie.“ Scharping rückt sich die Brille zurecht. „Da bin ich zu den Jusos gegangen und Parteisoldat geworden.“ Er gießt sich Limonade nach. Am kommenden Mittwoch wird Rudolf Scharping auf der Bonner Hardthöhe seinen Vorgänger Manfred Rühe mit einem Großen Zapfenstreich verabschieden. „Disziplin und Helmpflicht sind für mich ja nichts Neues“, scherzt er. Ein Witz. Christoph Schultheis

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