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■ Bei Ministers zu Haus (14) – die Heime unserer neuen RegierungWappentier Spitzmaus

Bonn. Über der runden bronzenen Klingel prangt ein mächtiges Namensschild, in das mit großen Lettern MÜLLER eingraviert ist – darunter ein kleiner, mit Tesafilm festgeklebter Papierstreifen. Aufschrift: Lafontaine. Ein dumpfes „Ding Dong“ – und sogleich öffnet uns eine attraktive, in einen flauschigen Bademantel gehüllte Blondine. Sie lehnt sich an den linken Türrahmen, stemmt eine Faust in die Hüfte und raucht in die kalte Novembernacht: „Guten Abend. Sie sind die beiden von der Presse!?“ Noch ehe wir ihre Frage bejahen können, schiebt sich von hinten ein runder Kopf zwischen Türrahmen und die blonde Frau. „Laß gut sein, Christl“, murmelt der Finanzminister, „die wollen zu mir.“ „Wer zu dir will, kommt an mir nicht vorbei!“ zischt Christa Müller, um im selben Moment ins Wohnungsinnere zu stürmen: „Verdammt Oskar, du hast schon wieder die Milch gegrillt.“

„Ich hasse Yak-Milch“, knötert Oskar, wackelt ein wenig von einem Bein auf das andere und wiederholt resigniert: „Ich hasse Yak- Milch – aber sie, sie mag die chinesische Küche, und seit Peking Tibet annektiert hat, kocht sie immer tibetanische Hochlandgerichte. Am liebsten rohe Yak-Keule, 14 Tage lang in Yak-Milch eingelegt...“

So steht er vor uns, in seiner hochgeschlossenen weinroten Strickjoppe, braunen Cordhosen und an den Zehen abgewetzten, dunkelblauen Hüttenschuhen. Außerdem trägt er eine Halskrause. Ja, er habe in letzter Zeit einfach einen verspannten Hals, weil er sich – zumal im Rampenlicht der Fernsehkameras – immer an Christas Rat halte: „Nicht lang schnacken – Kopf in'n Nacken!“

Wir sprechen noch eine gute halbe Stunde über „Christls“ Image-Beratungen, dann bittet Lafontaine uns endlich herein: „Jetzt könnte es klappen. Aber ziehen Sie bitte Ihre Schuhe aus und streifen Sie sich auch ein Paar Schluppen über.“ Lafontaine schleicht derweil den Flur entlang und lauscht angestrengt an einer Tür. Dann kommt er zurück und flüstert: „Beeilen Sie sich! Die Gelegenheit ist günstig, wir gehen schnell nach hinten.“ Auf leisen Stohlen trollen wir durch die Wohnung – vorbei an der Küche, in der Christa Müller gerade die Yak- Keule in die Mikrowelle schiebt; vorbei auch am Kinderzimmer von Sohn Carl Maurice; vorbei an Gästeklo, Badezimmer und Besenkammer und hin zum Wohnzimmer. Erst vor einem dicken braunen Vorhang bremst Lafontaine abrupt ab. Wacker macht er sich daran, ihn zur Seite zu zerren, und verheddert sich im Vorhangstoff. Wir sehen uns derweil um und entdecken eine hölzerne Sitzecke, ein grünes Sofa mit Couchtisch davor, ein kombiniertes Bücher- und Audioregal, in dem neben „Die Memoiren der Funny Hill“ eine CD von Ingo Appelt steht, sowie einen Vogelkäfig, der an einem Vogelkäfigständer hängt.

Doch kein Wellensittich zwitschert froh hinter den Gitterstäben vor sich hin; nein, eine Spitzmaus treibt in dem Käfig ein Laufrad an. Und der Minister, dessen Bewußtsein von einem Bischöflichen Konvikt gegossen wurde, freut sich mit uns über den Vogelkäfig. „Erst als ich die Christl heiratete, wurde die Spitzmaus zum Wappentier unserer Familie. Früher war es einmal die Ratte, doch Sie wissen ja – Christls Liebe zur chinesischen Küche.“ Und außerdem möge er Laufräder, schließlich habe er ja Physik studiert.

Gemeinsam öffnen wir nun die Terrassentür und treten in den Garten. Oskar zupft an unseren Ärmeln und zieht uns quer durch den Garten zur Garage. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“ – strahlt er von einem Ohr zum anderen und schließt auf. „Immer, wenn Christl ihre Ruhe braucht, Migräne hat oder mit der Doris Politik macht, darf ich hierher. Manchmal kommen auch Freunde vorbei, der Joschka zum Beispiel, den mag ich.“ An den Wänden des Betonraumes hängen einige vergilbte Fotos und Poster, auf denen Oskar als SPD-Kanzlerkandidat des Jahres 1990 zu sehen ist oder als Ministerpräsident des Saarlandes. Nun hat Lafontaine sein Strickzeug entdeckt. Er klimmt auf die Werkbank, baumelt mit seinen Beinen und zählt die Maschen eines halbfertigen Leibchens.

„Soll ich euch“, fragt er plötzlich keck grinsend, „soll ich euch mein Geheimnis zeigen?“ Wir nicken. Mit einem Satz steht er vor uns, bückt sich und reißt eine Luke im Boden auf: „Kommt“, sagt er, „einige Bergarbeiter aus Saarlouis haben mir für ein paar Kohlepfennige diesen Gang gegraben. Er führt direkt nach Saarbrücken, wo uns mein Leibkoch ein leckeres Persisches Huhn zubereiten wird“, sagt Oskar, „in Granatapfelsauce.“ Und während wir durch die Luke steigen, hören wir vom Haus her Christa Müllers Stimme: „Oskaaar, essen kommen, Yak ist feeertig!“ Björn Blaschke

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