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„Bei Gott kein Rot!“

■ St. Pauli – Gladbach 0:2 / Rot für Schlindwein / War's der letzte Auftritt von „Eisen-Dieter“? Von Folke Havekost

Um 15.04 Uhr war die Welt am Millerntor noch in Ordnung. Der bauchmuskelgezerrte Spielmacher Carsten Pröpper lief sich in kurzen Hosen warm – Einsatz von Beginn an also. Nur eine Minute später jedoch verebbte die Freude über des Kapitäns Spielfähigkeit im Schlindwein-kritischen Teil des Publikums jäh, als Eisen-Dieter ebenfalls kurzbehost gesichtet wurde.

Die Verletzungsmisere des FC St. Pauli bescherte Schlindwein einen Kurzeinsatz. 24 Minuten dauerte dieser, dann ging die Nummer vier vom Platz. Nicht etwa auf Geheiß von Trainer Uli Maslo, sondern auf Order des Schiedsrichters Lutz Wagner – zwanzig Meter vor dem eigenen Tor hatte er seinen vorbeilaufenden Gegenspieler Pettersson einfach zu Boden gestürzt – Notbremse, Platzverweis.

Dies war, obwohl Gladbach schon nach zwei Minuten durch Sternkopf die Latte traf, vermutlich die entscheidende Szene des Spiels – und es war eine absehbare, hatte Schlindwein doch zuvor bereits dreimal seinen allenfalls mäßigen Gegenspieler unfair bremsen müssen – wogegen Holger Stanislawski mit dem Schweden danach kaum Probleme hatte. So stand die Frage im Raum, warum Maslo als Ersatz für den gesperrten André Trulsen den beinharten Ex-Waldhöfer auf den Platz ließ – und nicht Thorsten Fröhling oder Joe Enochs aus der Regionalliga-Mannschaft. Letzterer war vor anderthalb Wochen gar zum Probetraining eines norwegischen Erstligisten gefahren, weil er sich bei den eigenen Profis wenig Chancen ausrechnete. „Ich will nicht sagen, es war kein anderer mehr da“, beraubte sich Maslo selbst des Personalnotstands-Arguments, „aber ich habe Schlindwein die Aufgabe zugetraut“, der im übrigen für sein Foul nur Gelb verdient gehabt hätte.

Unnötig war der Platzverweis, denn überragend waren auf Gladbacher Seite andere als Pettersson. „Effenberg und Kastenmaier haben uns in Grund und Boden gespielt“, bescheinigte Maslo den beiden Torschützen. Bis zur Halbzeitpause hatte seine Maßnahme, Pettersson nach dem Schlindwein-Aus Stanislawski zuzuweisen, Dinzey zurückzuziehen und Libero Dammmann vor den beiden spielen zu lassen, noch gefruchtet. Nach Wiederanpfiff spielten die Gäste jedoch ihre spielerische wie numerische Überlegenheit aus und vernachlässigten lediglich das Toreschießen. „Wir hätten 5:0 oder 6:0 gewinnen müssen“, meinte Effenberg und erntete keinen Widerspruch.

Mach's noch einmal, Dieter – für einige Fans im Clubheim waren Gut und Böse nach dem Spiel genauso subjektiv wie klar verteilt. „Dieter, Dieter“ skandierten sie solidarisch, als der 35jährige vor den SAT.1-Kameras gesichtet wurde. Das sei „bei Gott keine Rote Karte“ gewesen, reklamierte Eisen-Dieter höheren Beistand, um den rüden Kompensationsversuch seiner motorischen Defizite zu rechtfertigen.

Doch Schlindweins Bundesliga-Karriere, steht zu vermuten, wird auch kein höh'res Wesen mehr retten können. Das bescherte einem Teil des Publikums zumindest die Hoffnung, in der 24. Minute einem historischen Abschiedsmoment beigewohnt zu haben. Joe Enochs, munkelt man, soll für die nächste Saison sogar einen Vertrag bei den Profis erhalten.

FC St. Pauli: Thomforde – Dammmann – Stanislawski, Schlindwein – Hanke (74. Schweißing), Schubert, Pröpper, Dinzey, Sobotzik – Scharping (46. Spinger), Driller (57. Sawitschew)

Borussia Mönchengladbach: Kamps – Hoersen, Eichin, Andersson, Wolf – Kastenmaier, Effenberg, Nielsen (83. Hausweiler), Schneider – Sternkopf, Pettersson (90. Huiberts)

Schiedsrichter: Wagner (Hofheim) – Zuschauer: 20.585

Tore: 0:1 Kastenmaier (53.), 0:2 Effenberg (87.)

Gelbe Karten: – / Schneider, Pettersson – Rote Karte: Schlindwein (24. / Notbremse)

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