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Bei Doping klappen die Ohren zu

■ Die Kugelstoßerinnen kommen an die alten Weiten nicht mehr ran, dafür verändert sich ihr Äußeres: Athletik ist Trumpf / Claudia Losch verpaßt um vier Zentimeter eine Medaille

Aus Split Michaela Schießl

In der Ruhe liegt die Kraft? Da grinst der Coach. „Kommen Sie doch mal zum Training, da erleben Sie ihr blaues Wunder. Astrid ist unglaublich temperamentvoll. Zu gerne rastet sie aus.“ Dietmar Kollark, der Trainer der neuen Europameisterin im Kugelstoßen Astrid Kumbernuss strahlt; der Stolz über seine furiose Athletin sprengt ihm fast den Hemdenknopf. Wann sie das letzte Mal gestritten hätten? „Oh, heute morgen, wir konnten uns nicht einigen, wo wir trainieren sollen. Was für ein Geschrei.“

Doch die Machtkämpfe mit dem Trainer scheinen die 20jährige Neubrandenburgerin erst richtig in Fahrt zu bringen. Erst den Trainer fertigmachen und dann die Konkurrenz. Respektlos legte sie der versammlten Weltelite - zu der sie als Weltjahresbeste auch gehört - gleich zu Beginn ein Ei ins Nest.

Im ersten Versuch stieß sie, ganz nach der Schocktherapie des Zehnkämpfers Dailey Thompson die sechs Kilogrammm Eisen auf 20,38 Meter. Das Ding ist kalt und unangenehm, also nichts wie weit weg? Wie wild hechelten fortan alle anderen dieser Marke hinterher - vergebens. „Daß da keine mehr rankommt, damit hatte ich nicht gerechnet“, erstaunt sich Kumbernuss und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Die Junioren-Europameisterin ist die Zweite in der Geschichte der DDR, die sofort den „echten“ EM-Titel dranhängen konnte. Zuvor war das nur dem Speerwerfer Uwe Hohn gelungen. Und das, obwohl sie eingentlich gar nicht in eine Sportförderschule wollte: Sie durfte ihr Meerschweinchen nicht mitnehmen.

Verdächtig nur, daß die Weite der Siegerin weit unter den Bestleistungen dieser Disziplin blieb. Die Weltrekordmarke, fein säuberlich auf dem Rasen markiert, blieb einsam und verlassen: weit und breit keine Kugel in Sicht. Auch diejenige, die die Fabelmarke von 22,63 gesetzt hatte, wollte in Split nichts mehr damit zu tun haben: Erst im letzten Versuch schob sich die Olympiasiegerin von Seoul, Natalia Lisovskaya, mit mageren 20,06 Metern auf den zweiten Platz vor. „Zu wenig Training“ sei der Grund, sagt sie.

Zu diesem Zeitpunkt belegte Claudia Losch (BRD) noch Platz drei. Schon stand der Sekt bereit, doch Kathrin Neimke (DDR), die Zweite von Seoul, schien noch durstiger zu sein. Im letzten Versuch hievte sie die Kugel vier Zentimeter weiter als die Halleneuroparekordlerin Losch. Die wurmte das mächtig: „Mein schlechtester Wettkampf seit 1983. Vielleicht bin ich doch ein Hallenmensch.“

Irgendwie war sie wohl nicht spritzig genug. Vielleicht lag es am zu stumpfen Ring. Vielleicht hat sie die Kugel nicht optimal getroffen. Vielleicht war es auch einfach nicht ihr Tag. Vielleicht aber lag es auch am Ärger wegen dieser Dopinggeschichte. Mindestens zwei Tage Training habe sie das gekostet. Der 'Spiegel‘ nämlich wirft ihr in der neuesten Ausgabe vor, sich von einem Dopingtest gedrückt zu haben vor der Deutschen Meisterschaft.

Fünf Tage zu spät sei sie erschienen. „Eine unerhörte Unterstellung“, findet Claudia Losch den dahinterstehenden Verdacht. „Der offizielle Weg schreibt vor, daß der DLV per Einschreiben zum Dopingtest bitten muß. Bei mir hat da nur irgendeiner vom Bundesausschuß Leistungssport (BAL) angerufen und wollte mich herzitieren. Da könnte ja jeder kommen: Claudia, pinkeln!“

Sie halte sich an die offiziellen Vorgaben des DLV, soll der Verband das dann auch tun. Dennoch: kaum fällt das Wort Doping, sieht man die Ohren der Kugelstoßerinnen zuklappen. Kein Thema. Ein Tabu auch, daß die besten der Welt plötzlich gut zweieinhalb Meter weniger stoßen. Nicht in der richtigen Form eben. Auch Claudia Loschs Bestmarke liegt bei 22,19 Meter, wie Lisovskayas Weltrekord ebenfalls aus dem Jahr 1987.

„Insgesamt hat sich in den letzten Jahren viel geändert“, erklärt Iris Plotzitzka, die mit 19,51 m fünfte wurde und damit weiter dem Kader erhalten bleibt. Der Trend geht international weg von der Masse und hin zur Schnellkraft. Tatsächlich wirken die einst so massigen Kugelstoßerinnen heute wesentlich athletischer. Kräftig und groß, doch nicht mehr ganz so gewaltig. „Sprints und Sprünge gehören in den Trainigsplan, 7,70 Sekunden brauche ich über 60 Meter.“

Doch eine echte Veränderung der Technik ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Die Drehstoßtechnik von Randy Barnes, dem Weltrekordler bei den Männern, können die meisten Frauen nichts abgewinnen. Nur die Portugiesin Teresa Machado stößt in Pirouetten: „Die Technik ist unglaublich schwer, selbst wenn man wie ich vorher Diskus geworfen hat.“ Auch der Trainer von Astrid Kumbernuss, der „eigentlich nie Frauen trainieren wollte, weil die erstens nicht so recht anerkannt und zweitens kompliziert sind“, setzt mehr denn je auf Athletik. Aus sportlichen, aber auch aus ästhetischen Gründen. „Ich habe auch eine Verantwortung gegenüber der Athlethin, und solche Muskelfrauen werden doch abgelehnt.“

Doch ob Masse oder Athletik, nach wie vor sind die Kugelstoßerinnen die Stiefkinder der Medien und Sponsoren. „Da können wir hundert Mal Weltspitze sein, wenn eine Sprinterin nur den Endlauf erreicht, ist das mehr wert, stehen die Sponsoren Schlange“, ärgert sich Claudia Losch. „Die entsprechen halt eher dem Schönheitsideal.“ Iris Plotzitzka legt noch einen drauf: „Wir schauen schrecklich aus, wer soll den mit uns werben.“ Spöttisch verzieht sie den Mund. Wurst ist es ihr schließlich. Und sie fühlt sich wohl, so wie sie ist. Und überhaupt will sie mit nach Tokio zu Weltmeisterschaft im kommenden Jahr. „Das schaff‘ ich auch, trotz der neuen Verstärkung aus der DDR.“

Viel hat sich im Verhältnis zwischen den Kugelstoßerinnen der beiden Deutschlands nicht verändert. Außer, daß sie jetzt nicht mehr heimlich in Hoteleingängen reden müssen. „Sie feiern doch heute abend sicher zusammen, als neue Kameradinnen“, insistiert ein DDR-Reporter. „Eher nicht“, blockt Losch. Sie sei kein Fan von überschwenglicher Herzlichkeit per Verordnung. „Freundschaften entwickeln sich, oder eben nicht. Wir kennen uns doch kaum.“

Aber gratulierte Stefanie Storp nicht Katrin Neimke mit Küßchen und Umarmung? „Das tut sie nur, weil sie sich so freut, daß ich nicht Dritte geworden bin“, sagt Losch. „Die tut alles, um uns zu stören“, bestätigt auch Iris Plotzitzka. Und Claudia Losch grinst: „So ist das eben, selbst in den eigenen Reihen muß man sich nicht um jeden Preis mögen.“

Kugelstoßen: 1. Astrid Kumbernuss (DDR) 20,38, 2. Natalja Lissowskaja (UdSSR) 20,06, 3. Kathrin Neimke (DDR) 19,96, 4. Claudia Losch 19,92, 5. Iris Plotzitzka (beide BRD) 19,51, 6. Heike Hartwig (DDR) 18,90, 7. Stephanie Storp (BRD) 18,88.

Männer, 10.000 m: 1. Salvatore Antibo (Italien) 27:41,27 Minuten; 2. Are Nakkim (Norwegen) 28:04,04; 3. Stefano Mei (Italien) 28:04,46.

Frauen, Marathon: 1. Rosa Mota (Portugal) 2:31:27 Stunden; 2. Walentina Jegorowa (UdSSR) 2:31:32; 3. Maria Rebello-Lelut (Frankreich) 2:35:51

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