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Nominierte 2015

Behshid Najafi „Auch ich weine manchmal”

Flüchtlingsfrauen brauchen besondere Hilfe. Behshid Najafi weiß das aus langjähriger Erfahrung.

Behshid Najafi in Köln, wo sie sich seit 22 Jahren für die Rechte und Interessen von Migrantinnen einsetzt: „Wir sind bekannter geworden”. Bild: Anja Weber

„Bitte keinem Mann die Tür öffnen”, steht eilig geschrieben auf einem roten Zettel, den jemand an die Innenseite der Türe geklebt hat. Die Frauen, die in den Büros von Behshid Najafi und dem agisra e. V. Rat suchen, sehen den wichtigen Hinweis erst beim Hinausgehen. Tatsächlich stehe selten ein Mann vor der Tür, lacht Behshid Najafi, stellvertretende Geschäftsführerin dieses eingetragenen Vereins, der sich seit mehr als 20 Jahren für die Menschenrechte von Migrantinnen einsetzt.

„Wir unterstützen ausschließlich Frauen, denn wenn Frauen stärker werden, dann geht es der gesamten Gesellschaft besser”, erklärt Najafi. Sie ist selbst Ende der achtziger Jahre als Dreißigjährige aus dem Iran über Aserbaidschan nach Deutschland gekommen – allerdings fließend Englisch sprechend und mit einem Bachelor in Politikwissenschaften sowie einem Master in Pädagogik. Anders als eine analphabetische Flüchtlingsfrau mit drei Kindern wusste sie sich schnell selbst zu helfen.

Die Stelle bei agisra e. V. nahm sie ohne Zögern an.

Die überzeugte Feministin, die sich im Iran in einer linken Untergrundorganisation für soziale Gerechtigkeit engagierte, weiß: „Migrantinnen sind besonders benachteiligt.” Und: Die Benachteiligungen sind immer komplex, weil jeweils Sexismus, Rassismus oder auch wirtschaftliche Unterdrückung in unterschiedlichen Teilen mitwirken. Natürlich sagte sie sofort zu, als sie damals angefragt wurde, mit drei Kolleginnen agisra e. V. in Köln zu gründen und aufzubauen.

Die Teilzeitstelle war für die studierte Pädagogin und Politologin nach vielen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in einem iranischen Frauenverein die erste bezahlte Arbeit in Deutschland. Und anders als im Iran musste sie hier ihr Engagement nicht verstecken, sondern konnte ein offizielles Schild vor die Türe hängen. Noch heute strahlt sie, zurückhaltend zwar, aber doch erkennbar, wenn sie von diesem Anfang erzählt.

Begonnen hatten sie und ihre damaligen Mitstreiterinnen 1993 in einem kleinen Zimmer mit knapp zehn Quadratmetern. Unterdessen sind sie dreimal umgezogen und belegen eine ganze Etage unweit des Kölner Doms. Sieben hauptamtlich angestellte Frauen unterstützen hier Frauen in ihrem Anspruch auf Schutz, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Religion oder Sprache.

„Bei Kriseninterventionen wird sofort gehandelt”

Manche Frauen wurden zwangsverheiratet oder müssen sich prostituieren, andere erleben häusliche Gewalt oder verfügen schlicht über keine Papiere. In den kleinen Beratungszimmern stehen viele Stühle und jeweils niedrige Tischchen, manchmal auch eine Pflanze, manchmal hängt ein buntes Bild. An jeder Türklinke baumelt ein Schild, an diesem frühen Abend ist ein Beratungszimmer immer noch besetzt: Bitte nicht stören.

Während der Beratungstermine wird geklärt, wobei agisra helfen und was gemeinsam mit der Frau erreicht werden kann. Man unterstützt die Frauen bei Behördengängen, der Besorgung von Bescheinigungen oder der Organisation eines Deutschkurses. Die Rat suchenden Frauen verabreden sich in der Regel während der Sprechzeiten telefonisch zu einem Beratungstermin. Es sei denn, eine Frau steht vor der Tür, weil sie von ihrem Mann geschlagen wurde. „Dann ist das Krisenintervention, dann handeln wir sofort”, sagt Behshid Najafi in einem der vier Beratungszimmer.

Für die Arbeit braucht es Kopf und Herz

Sie hat extra für den Besuch die Packung mit ihren Lieblingskeksen mit getrockneten Datteln geöffnet, die sie für ihre Kolleginnen aus dem Iran mitgebracht hat. Die Kekse stecken bei vielen der Geschichten, die Najafi beispielhaft aufzählt, schwer im Hals.

„Natürlich, die Beratungen sind oft schwierig, auch ich weine manchmal”, sagt sie und streicht sich ihr volles, widerspenstiges Haar aus der Stirn. „Aber für unsere Arbeit brauchen wir Kopf und Herz. Wenn eines fehlt, dann können wir nicht arbeiten. Wir müssen die Frauen verstehen, aber wir müssen auch die Gesetze kennen. Sonst können wir nicht helfen.”

Umso wichtiger sei es, sich dabei selber zu schützen, sonst gelinge einem diese Arbeit höchstens ein paar Jahre, aber bestimmt nicht 22. „Trotz allem: Die Arbeit muss Spaß machen”, sagt Najafi resolut und erzählt lebhaft von den Mittagessen, den Ausflügen und den gemeinsamen Gesprächen über das Gehörte.

Die Behörden kennen ihre Arbeit nach all den Jahren

Jede der Beraterinnen macht ungefähr drei Beratungen pro Tag, an vier Tagen die Woche. Die Rat suchenden Frauen sind in den letzten Jahren mehr geworden. „Wir sind bekannter geworden, die Behörden kennen uns nach all den Jahren und vermitteln an Ratsuchende”, erklärt Najafi und fügt an: „Und die Frauen wehren sich mehr, weil sie mehr über ihre Rechte wissen.” Darüber freut sie sich besonders. Denn die Selbstorganisation von Migrantinnen ist erklärtes Ziel von agisra.

Allen Frauen, die sie berate, empfehle sie besonders, Deutsch und Sport zu lernen. Denn wenn die Frauen nicht die Sprache ihrer neuen Heimat lernten, könnten sie ihre Rechte nicht verteidigen. Und Sport belebe bekanntlich den Geist – bringe die Frauen aber vor allem in Kontakt mit anderen Menschen. Gerade habe die Gymnastikgruppe, die sich regelmäßig im Aufenthaltsraum zum Yoga trifft, beschlossen, sich sommers lieber auf einer Wiese zu treffen.

„Es ist wichtig, die Gesellschaft und die Gesetze zu verändern”

„Sie organisieren sich selbst, gehen raus, machen was anderes. Das ist, was wir wollen!” Die neuen Kontakte seien wichtig, betont Behshid Najafi, damit die Frauen nicht in neue Abhängigkeit trudelten – und etwa von ihnen abhängig würden. Die schnellen und unbürokratischen Beratungen sind wichtig. Doch sie genügten nicht, sagt Behshid Najafi. Agisra setzt deshalb auf Vernetzung: „Es ist wichtig, die Gesellschaft und die Gesetze zu verändern – auch für die Frauen, die den Weg zu uns nicht finden.”

Sie und ihre Kolleginnen sitzen deshalb auch ehrenamtlich in vielen kommunalen, landes- und bundesweiten Arbeitskreisen. Gerade war sie zum Beispiel für agisra in Brüssel, um bei einem europäischen Zusammenschluss für papierlose Migrantinnen mitzudiskutieren. Und im vorigen Sommer hat agisra gemeinsam mit anderen Migrationsvereinen den Dachverband DaMigra gegründet.

Auch wenn sie zu ihrer Arbeit durch ihre eigenen Erfahrungen als Flüchtlingsfrau gekommen ist, wirft sie immer wieder einen distanzierten, politologischen Blick darauf und betont die Komplexität des großen Ganzen. Mit einfachen Erklärungen ist man bei ihr an der falschen Adresse, und bei Vorurteilen wird sie streng.

Träge Ämter machen es den Migrantinnen schwer

In den zwei Jahrzehnten Migrationsarbeit habe sich viel verändert. Zum einen spürten sie bei agisra, wie das Verwaltungssystem in den letzten Jahren träger geworden sei, die bürokratischen Hürden für Migrantinnen zugenommen hätten. Oft stünden Frauen ohne Geld und Wohnung da, obwohl ihr Antrag beim Jobcenter seit zwei Monaten anhängig sei – und obwohl sie von ihrem Mann geschlagen und vor die Tür gesetzt worden seien.

Andererseits erinnert sich Najafi noch gut an die Ausländer-raus-Stimmung der neunziger Jahre: wie sie sich damals persönlich bedroht fühlte und überlegte, mit ihrer Familie weiter zu flüchten. „Die Willkommenskultur in Deutschland ist viel positiver geworden”, betont sie. Nicht zuletzt seit sich Deutschland 2005 offiziell zum Einwanderungsland erklärt hat. Das Recht auf Integration, konkret in Form von Sprachkursen etwa, habe viel verändert.

Früher hätte sie große Mühe gehabt, überhaupt einen preisgünstigen Deutschkurs zu finden – oder sogar einen, der auch Kinderbetreuung hat: „Das gab es nicht. Jetzt gibt es das.” Auch wenn sie die Entwicklung wesentlich mitgeprägt hat: Als Herz von agisra möchte Behshid Najafi keinesfalls beschrieben werden. Der gemeinnützige Verein ist mit möglichst wenig Hierarchie organisiert und lebt davon, dass hier viele Frauen über ihre bezahlten Engagements hinaus aktiv mithelfen.

GINA BUCHER, lebt und arbeitet in Zürich und Berlin und ist seit 2009 Autorin der taz.