Behörden verteidigen Pogrome: Großeinsatz gegen Ausländer in Italien
Die Polizei ist in neun Regionen ausgerückt und hat hunderte Personen festgenommen - wegen der mehrtägigen Pogrome gegen Roma in Neapel aber noch keinen einzigen Täter.
ROM taz Italiens Regierung ist noch gar nicht richtig im Amt und schon geht sie massiv gegen Ausländer vor. Während am Donnerstag noch die Vertrauensabstimmung im Senat anstand, rückten in neun italienischen Regionen Polizeieinheiten aus, um kriminelle oder auch bloß illegal im Land befindliche Immigranten festzunehmen.
Bei den Festnahmeaktionen handelt es sich offenkundig um eine von propagandistischen Motiven diktierte Bündelung höchst unterschiedlicher Einsätze. So galt der Schlag in Venedig einer Bande, die für Diebstähle und Raubtaten in Wohnungen ebenso wie in Geschäften verantwortlich gemacht wird. In Udine und anderen norditalienischen Regionen rückten Beamte aus, um Rauschgift-Dealer zu verhaften. Italiener, Albaner, Griechen, Rumänen, Chinesen und Marokkaner gingen so ins Netz der Fahnder. In Rom führte die Polizei eine Razzia im größten Roma-Lager der Stadt durch. Hier wurden etwa 50 Personen vorläufig in Gewahrsam genommen, weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere vorweisen konnten. Insgesamt wurden landesweit 383 Menschen festgenommen, unter ihnen 260 Ausländer. 53 wurden umgehend abgeschoben, 65 in Abschiebelager überstellt.
Dagegen blieb die Polizei in Neapel bei der Verfolgung jener Täter völlig erfolglos, die von Montagnacht bis zum Mittwoch fünf Roma-Barackenlager im Stadtteil Ponticelli abgefackelt und deren Bewohner vertrieben hatten. Keiner der an den Ausschreitungen Beteiligten wurde festgenommen. Seit Mittwochabend ist Ponticelli "Roma-frei". Auch die letzten der 500 vorher dort lebenden Menschen verließen fluchtartig das Viertel.
Die Vertreibung der Pogromopfer löste in Italien keinen Aufschrei der Empörung aus. Zwar erklärte Roms neuer rechter Bürgermeister Gianni Alemanno, er sei gegen Selbstjustiz. Die "Laxheit" eines untätigen Staates könne aber zu Situationen führen, in denen die Bürger "zu Selbstjustiz gezwungen" seien. Die Demokratische Partei des Oppositionsführers Walter Veltroni klebte in Ponticelli Plakate - nicht gegen die Hassorgie, sondern mit der Forderung "Roma-Lager raus aus Ponticelli!".
Die Stimmung im Lande zeigt sich in einer Umfrage, die die Zeitung La Repubblica am Donnerstag auf ihrer Website veröffentlichte. Auf die Frage, ob das "Roma-Problem" politisch Priorität genießen müsse, antworten 75 Prozent mit Ja, 68 Prozent wollen, dass alle Roma aus dem Land geschafft werden. 51 Prozent befürworten die Ausweisung arbeitsloser Nicht-EU-Ausländer.
Die Regierung zeigt sich nur zu willig, der von ihr selbst mitgeschürten Stimmung unter den Bürgern entgegenzukommen. In Rom wird intensiv über ein Maßnahmepaket zum vorgeblichen "Sicherheits-Notstand" beraten. Als sicher gilt, dass die Verweildauer in den Abschiebelagern von bisher maximal 60 Tagen auf eineinhalb Jahre erhöht werden soll. Zudem soll der Familiennachzug erschwert werden. Zudem denkt die Regierung über die Schaffung des Straftatbestandes "illegale Einwanderung" nach. Dieser würde es erlauben, jeden Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis gleich als Kriminellen zu verfolgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs