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Behinderte bedroht

■ „Sieg — Heil!“ - Anonyme Anrufer terrorisieren Eltern und Schulen

Seit einigen Tagen werden Eltern behinderter Schüler durch anonyme Telefonanrufe terrorisiert. Nach einem Bericht im Regionalmagazin buten und binnen, in dem die mangelnden Brandschutzvorrichtungen an einer Bremer Behindertenschule kritisiert worden waren, riefen Unbekannte bei der Mutter einer behinderten Schülerin an: „Schönen Dank für die Fernsehsendung“, sagten sie. „Ihr werdet alle ausgeräuchert. Dein Kind ist als erstes dran. Sieg Heil!“

Vor ihr hatte schon eine Mutter einen anonymen Drohanruf erhalten, berichtet Heinrich Dreyer, der Leiter der Schule am Leher Feld. Anonyme Briefe folgten. Auch ein Zivildienstleistender, der behinderte Kinder zur Schule fährt, habe eine Bombendrohung erhalten.

Eine Lehrerin der Schule findet die Drohungen umso mysteriöser, da völlig unklar sei, wie die Anrufer die Namen der Eltern herausgefunden hätten. Keiner der Namen wurde in der Fernsehsendung erwähnt.

„Das ist alles sehr suspekt“, sagt die Elternsprecherin einer Behindertenschule. Die Eltern der Schule haben jetzt selbst Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, weil die Polizei ihrer Meinung nach zu wenig unternimmt. „Die kommen ja immer erst, wenn schon was passiert ist.“

Im Wechsel laufen die Eltern um die Schule Patrouille, seit Mittwoch früh hat die Elternsprecherin viereinhalb Stunden Wache geschoben. Mit einer Unterschriftensammlung und weiteren Aktionen wollen Eltern und Lehrer jetzt auf die Bedrohung aufmerksam machen und bitten um die Solidarität der BremerInnen.

„Man darf das nicht verdrängen“, sagt die Sprecherin, „ich glaube nicht, daß man da Panik schürt. Ich habe die Hoffnung, daß den Leuten die Augen aufgehen. Die Geschichte zeigt ja, was passiert, wenn man das verdrängt.“

Die Bremer Kriminalpolizei hat die Ermittlungen aufgenommen. Auch im rechtsradikalen Milieu? Da zögert Pressesprecher Ralf Pestrup: „Man muß ja heutzutage nur Sieg Heil sagen und hat dann sofort größere Publizität!“ Und warnt vor „voreiligen Schlüssen“.

Die betroffene Mutter fühlt sich von der Polizei „sehr ruppig“ behandelt. „Die haben zuerst gar keine Anzeige aufgenommen“, dann sei sie beruhigt worden: „In 99 Prozent aller Fälle passiert nichts.“ Doch die Mutter hält es für unverantwortlich, daß die Schulbehörde immer noch nichts unternommen hat, um die Brandschutzvorrichtungen in der Schule zu verbessern.

Daß Behinderten häufiger offene Aggression entgegenschlägt, wird auch in anderen Behinderteneinrichtungen bestätigt. „Eine Lehrerin hat erzählt, es gibt mehr Anmache“, berichtet die Leiterin der Bremer Werkstatt. „Ich habe gebeten, mir sofort Meldung über solche Vorfälle zu erstatten. Wir wollen die Kollegen im Haus für solche Vorfälle sensibilisieren.“

„Anpöbeleien gegenüber Behinderten gibt es immer“, sagt Gerhard Iglhaut, der Geschäftsführer der Lebenshilfe für geistig Behinderte. Eine überzogene Reaktion könnte das Gewaltpotential der Rechten mobilisieren, fürchtet er. „Es sind ja nicht nur die Behinderten bedroht, es trifft alle Schwachen.“

Diemut Roether

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