: Beherzte Berliner Siebenbänder
■ Billardvergleichskampf West-Berlin gegen DDR-Auswahl im Dreiband / Männer im Outfit von Bestattungsunternehmern ließen den lieben langen Tag die Kugeln rollen / Zauberhafte Kunststöße mit dem „Herzschlag im Ohrläppchen“
Berlin. Die ehrwürdige Kunst des Dreiband-Billards wurde am Wochenende wieder einmal gepflegt und vorgeführt. Der Westberliner Verband hatte zu einem Vergleich gegen den Ostteil der Stadt aufgerufen; da das Leistungsvermögen aber noch weit auseinanderliegt, konnten die Ostberliner ihre halbe Mannschaft aus den Cracks der ganzen DDR rekrutieren. So bekam man mit Frank Omland den besten Billardsportler der DDR zu sehen, mit Reusche und Dankwerth zwei Dreibandspezialisten. West-Berlin, das dem Dreiband-Billard durch die Ausrichtung des Profi-Weltcups in jedem Herbst besonders verbunden ist, bot eine Mannschaft auf, die trotz des Fehlens von Thiele und Zöllner den DDR-Spielern weit überlegen war.
Im „Billard International“, jener erlauchten Spielstätte in der Knesebeckstraße, trafen sich die Männer, um die Kugeln rollen zu lassen. Der erste Eindruck, hier handele es sich um das Geschäftstreffen einiger Bestattungsunternehmer, war rasch überwunden. Die Billard-Kleidung ist mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und schicker Fliege immer noch höchst traditionell. Die Form wird auch bei den einzelnen Kämpfen strikt gewahrt. Hier wird nicht geklatscht oder gejubelt, ein gelungener Stoß wird vielmehr mit leichtem Fingerschnipsen und Zungenschnalzen bedacht. Die Zuschauer, die sich um die Tische verteilten, gehörten ohnehin zu den Eingeweihten und ließen sich nur bei wirklichen Kunststößen von den Sitzen reißen. Auch sollen sich die Spieler entschuldigen, wenn sie Zufallstreffer landen. Sie lassen sich nicht von Alkoholika locken, sie dopen sich mit Malzbier und Kaffee.
Ja, es sind lichtscheue Menschen, die der hohen Kunst des Billard nachgehen. Die Gardinen blieben den ganzen Tag zugezogen. Die Matches dauerten etwa eine Stunde, gespielt wurde auf zwei Gewinnsätze mit 15 Points. Immer wieder wurden die Queues aus ihren Koffern gepackt und zusammengeschraubt, sorgfältig eingekreidet, dann beugt sich der Spieler über den grünen Stoff und die mattglänzenden Kugeln, fixiert seinen Spielball und jagt ihn dann mit einem beherzten Stoß dreimal über den Tisch, bis er auf die beiden anderen Kugeln trifft. Oder der Spielball wird mit technischer Raffinesse und viel Effet so in die Ecke gespielt, daß er auf engstem Raum noch dreimal anbandet, ehe die dritte Kugel erreicht wird.
„Billard kann so gräßlich sein“, gestand später ein jüngerer Spieler mit dem glücklichen Grinsen des Süchtigen. „Du liegst im Sommer bei dreißig Grad in der Sonne draußen am See, und dann denkst du an Billard, ziehst dich an und ziehst los, um zu spielen. Das kann dich so fesseln, wird zu einer echten Sucht.“ Um so mehr, als die Trainingsintensität beim Billard wohl höher als bei den meisten anderen Sportarten ist. Täglich fünf Stunden spielt durchschnittlich jemand, der zur nationalen Spitze zu zählen ist. Und das ist noch nicht das schlimmste. „Die Nervenbelastung ist bei Turnieren echt schrecklich. Das muß ja vom Kopf runter in den Arm gehen, du weißt ja die Kombination, die du spielen willst, aber du mußt sie erst umsetzen. Manchmal beuge ich mich über den Tisch und höre meinen Herzschlag im Ohrläppchen.“
In der Pause wurden noch einige Kunststöße vorgeführt, die für den Laien wie Zauberei anmuten, für den Fachmann höchste Beherrschung der blanken Kugeln bedeutet. Da wird der Ball fast in einem rechten Winkel gespielt, da werden Peitschenstöße und Zugbälle mehrmals über den Tisch gejagt, so daß die Augen der spielenden Männer zu leuchten beginnen. „Sehr ordentlich“, murmeln sie andächtig, „ja, wunderschön!“
Und nebenan heben sich die nervösen Blicke der Kartenzocker von ihren Blättern. Da Billardspieler im allgemeinen nicht von ihrer Kunst leben können, findet sich in jedem Salon eine Ecke, wo die Geldbüschel rascheln und wo sich die Zocker jeder Couleur zusammenfinden. Und dort spielen auch die älteren Männer ihr Spiel, die nicht mehr zur ersten oder zweiten Garde gehören. Sie tragen diese kräftigen Brillen, haben Brillantine im Haar und feuern sich gegenseitig lautstark an. „Doppelten Quart, nicht einfach, Mensch“, dröhnen sie und feuern ihre Kugel an: „Lauf, lauf, lauf!“ Von den Turnierspielern rasch niedergezischelt, rückten sie ihre blitzenden Armbanduhren zurecht. Billard ist ein Kampfspiel. Und die Berliner freuen sich heute schon auf das herbstliche Treffen der absoluten Dreiband-Cracks bei Kempinski, wo neben den Schweden, Belgiern, Niederländern und Japanern auch der Berliner Dieter Müller wieder zum Queue greifen wird.
Olga O'Groschen
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