Begrüßen und Kiffen in Corona-Zeiten: Der Beitrag der DDR zur Einheit
Als Kind hat man es gehasst, im alten Westberlin war es verpönt. Nun steht es auf dem Corona-Index: Händeschütteln soll man bleiben lassen.
S eit den Diskussionsorgien der letzten zwei Wochen fühlt man sich infiziert von der kommenden Normalitätswelle. Vor drei Wochen war man noch zu M. gegangen und hatte gedacht, dass der Freund sicher bald isoliert werden würde, vor zwei Wochen hatte man stolz seine selbst gebastelte Maske vorgeführt, nun fühlt man sich ein bisschen wie kurz vor dem Ende der großen Ferien.
Und denkt zurück: an die Morgen im Bett mit der Virusmap, wie man sich das erste Mal mit dem Ellenbogengruß begrüßt hatte, wie K. plötzlich eine Gasmaske aufgesetzt hatte, weil B. so viel gequatscht hatte. Wie man G., der mexikanischen Freundin, ein Bild von diesem Gabenzaun in der Schleiermacherstraße geschickt hatte.
Wie sie gefragt hatte, ob ich das gut fände und ich bezweifelt hatte, dass die Gabenzaunbetreiber viel über Obdachlose in der Gegend wissen. Sie hatte geschrieben, „Hahaha. Genau … Wir haben keine Ahnung!!!“ Und ich hatte mich geärgert über meine Arroganz. Inzwischen werden die Gabenzäune in meiner Gegend nicht mehr bestückt.
In meinem inneren Corona-Tagebuch hatte ich G. und meinen Freund M., den ich gleich noch besuche, als Familie beziehungsweise Mitbewohner notiert. Sonst hatte ich eigentlich nur noch mit K., der Schriftstellerin und Folksängerin, Kontakt, die in dem Corona-Text meiner ersten Redakteurin Vogeline als „Yogalehrerin“ aufgetaucht war. Was sie ja auch ist. Und Mutter zweier Jungs in der Pubertät. Sie ist auch schon lange mit M. befreundet.
Ein Jahr später hatte M. wieder mit dem Trinken begonnen und war zu seiner neuen Freundin gezogen mit Blick auf den Südstern. K. war Richtung 36 gewandert und hatte zwei Kinder bekommen. Und ich war auch weg gewesen. Für lange Zeit.
Polizei sei hier gewesen
Vor ein paar Jahren hatten wir uns wiedergesehen. M. hatte noch laufen können, seine Freundin hatte noch gelebt. Und jetzt bin ich, wie gesagt, auf dem Weg zu ihm.
Beim Kiosk kaufe ich Zigaretten als Mitbringsel. Der Chef hinter dem Tresen sagt, die Polizei sei vorhin hier gewesen. Vor dem Kiosk standen wohl die Leute zu eng nebeneinander. M.s Wohnung ist warm. Die Heizung ist voll aufgedreht. Er kann sie auch nicht herunterdrehen. Die Ottomane steht dazwischen. Mit seinem Rollstuhl kommt er da nicht ran.
Die Heizung macht Geräusche. Vielleicht weil es die einzige Heizung ist, die aufgedreht ist. Weil mein Vater Heizungsmonteur gewesen war, vertraut M. meiner Expertise, und ich darf die Heizung abdrehen.
Später kommt K. Sie erzählt von ihrer Online-Yogagruppe und dass sie die Webcams unangenehm findet und froh ist, keine Cam in ihrem Computer zu haben. Wir sitzen und essen den Kuchen, den K. mitgebracht hat.
M., der in den letzten Jahren ungefähr alle zwei Monate im Krankenhaus gewesen war, sagt triumphierend: „Ich bin doppelte Hochrisikogruppe: Diabetes und Alter.“ Ich ergänze: „Und Alkoholiker und Raucher, also eigentlich vierfach.“ Er sagt: „Aber ich trink doch nicht mehr.“ Ich antworte: „Das ändert nichts.“
Eine Weile denken wir über die epidemiologischen Folgen von 1989 nach. Ich erinnere daran, dass das Händeschütteln der einzige Beitrag der DDR zur Einheit gewesen war. Im Westberlin der 1970er und 1980er Jahre war Händeschütteln verpönt. Als Kind hatte ich das immer furchtbar gefunden, allen Leute die Hand geben zu müssen.
Jeder raucht einen
Witzig, dass wir vor einer Woche exakt denselben Dialog vor gleichem Publikum – also K. – aufgeführt hatten, was M. aber nicht merkt. Wir trinken Tee und rauchen zum Abschied einen Joint. Das heißt jeder raucht einen, weil wir wissen, dass man nur noch getrennt zusammen rauchen darf. Und dass das Desinfizieren des Jointfilters mit offener Feuerzeugflamme auch keine Lösung ist.
So kommunizieren wir Hanffreunde das untereinander, auf dass sich etwas verändere im Infektionsgeschehen. Eben fühlte man sich noch verlacht als Kiffer – nun ist man eine epidemiologisch wertvolle Gesellschaftsgruppe, so ungefähr 4 Prozent.
Auf dem Rückweg nehme ich mich und die anderen Menschen wieder als größere oder kleinere rote Punkte wahr und fühle mich als roter Punkt unter roten Punkten in meiner gesellschaftlichen Rolle aufgewertet.
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